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Nasen und andere Schönheiten

Von Hermann Schlösser

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1759 erschien der erste Band von Laurence Sternes "Leben und Meinungen des Tristam Shandy" · jenem Roman also, der wie Italo Calvino voll Bewunderung feststellte "ganz aus Abschweifungen besteht".

Bis heute ist er eine Lieblingslektüre all derer geblieben, die sich beim Lesen gern vom Hundertsten ins Tausendste treiben lassen.

Dieses Meisterwerk der endlosen Beredsamkeit wurde vorgestern von den "Tonspuren" (Österreich 1) vorgestellt: Hörspielartig lebten dabei einige Szenen aus dem Roman auf. Besonders gut gelang die

Darstellung des leicht anrüchigen "Nasenkapitels": Tristam Shandys Vater ist unter anderem auch als Nasenforscher tätig, und er berichtet von einem Mann, der die Bewohner der Stadt Straßburg in

geiles Entzücken versetzt, weil seine Nase · was sonst? · so lang wie eine Trompete ist. Im Radio wurde daraus ein erregtes Tongemälde, das seine Wirksamkeit nicht zuletzt einer pompös-nervösen

Hintergrundsmusik von Michael Nyman verdankte.

Doch zogen nicht nur Nasen am Ohr des Hörers vorbei, sondern auch Zitate aus der Sekundärliteratur und Berichte aus Laurence Sternes Leben. Aus all dem ergab sich schließlich das sogenannte "Shandy-

System". Es bestand genau darin, dass die Informationen und Meinungen in bunter, unübersehbarer Fülle durcheinander gewürfelt wurden. Besser hätte man die Geister Sternes kaum beschwören können.