Für eine erfolgreiche Zukunft brauchen wir stärkere Kooperation.
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Beginnen wir doch mit einer Frage. Mit einer Frage, die wir uns alle stellen sollten, und die einem - überdenkt man sie einmal vernünftig - nicht mehr aus dem Kopf geht: Welches Problem, welche große gesellschaftliche Herausforderung lässt sich heute noch auf nationaler Ebene lösen? Und mit lösen ist nicht herauszögern oder geschickt verschweigen gemeint. Sondern eben lösen. Langfristig lösen.
Auf diese Frage fehlt, denkt man lange genug über sie nach, jede Antwort. Angefangen von Themen wie dem Schulwesen, bei dem die notwendige globale Kooperation vielleicht weniger deutlich zu erkennen ist, bis hin zum Klimaschutz, wo die eingeschränkte Problemlösungsfähigkeit einzelner Staaten offen auf dem Tisch liegt, wird einem letztlich klar: National lösbare Herausforderungen gibt es nicht. Nicht mehr.
Viele neue Herausforderungen
Die erweiterte Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz werden unsere heutige Arbeitswelt weitreichend verändern. Nicht nur die Arbeit selbst wird sich weiter international vernetzen, auch in der Bildung bedarf es einer stärkeren Kooperation, um unsere nächsten Generationen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Durch Fortschritte in der Medizin und in der Biotechnologie werden wir uns mit ethischen Fragen konfrontiert sehen, die international geltende Maßstäbe und Tabus fordern werden - und zwar bevor Großunternehmen den Bürgern moralische Entscheidungen vorwegnehmen. Gleiches gilt auch für den Datenschutz, ein neu entstandenes Menschenrecht. Auch hier hat man global gegen die Verletzung der Geheimhaltung personenbezogener Daten durch staatliche Einrichtungen und Konzerne anzukämpfen. Auch hier machen das Internet und die Aufzeichnungen nicht vor Ländergrenzen halt.
Wir sehen uns vor große demografische Entwicklungen gestellt: einerseits rapides Bevölkerungswachstum, allen voran auf dem Kontinent Afrika; andererseits voranschreitende Alterung westlicher Gesellschaften. Migration wird man durch nationale Abschottung nur kurzfristig lösen können. Und auch die Alterspflege braucht supranationale Kooperation. Denn wie es um die Ältesten unserer Bevölkerung ohne die vielen, schlecht bezahlten Pflegerinnen aus osteuropäischen Ländern stünde, wollen wir uns gar nicht vorstellen müssen.
Was damit gesagt wird: Nationale Probleme sind im Kern nicht national und nationale Lösungen daher nicht mehr als eine Illusion. Eine solche Feststellung mag politisch unklug, ja unaussprechbar sein. Eine solche Feststellung mag uns Bürgern Hoffnung nehmen und uns geradewegs in die Politikverdrossenheit führen. Jedenfalls bringt eine solche Feststellung keine Wählerstimmen ein. Denn sie suggeriert eine ungewisse Zukunft. Und niemand lebt gerne in konstanter Veränderung und unweigerlichem Nicht-Wissen. Die meisten von uns sind wohl der Meinung, wir hätten davon schon genug gehabt in den vergangenen Jahren.
Und so wird ein Alternativprogramm aufgezogen. Ein temporäres Ablenkungsmanöver. Bestehend aus Menschen, die mit Scheuklappen in der Welt agieren, nach dem Motto: Augen zu und durch! Menschen, die sich die Frage, ob sich etwas national lösen lässt, gar nicht stellen. Und so lange nicht stellen werden, bis die Realität die Politik letztlich wieder einzuholen vermag.
Europa muss weiter zusammenwachsen
Denn die Realität ist, dass Politik zur Außenpolitik geworden ist. Wollen wir als Bürger mitreden, mitentscheiden, unsere Zukunft mitprägen, dann ist das im Spiel der Weltmächte nur möglich, wenn wir uns zusammenbündeln. Österreich alleine wird von den USA, China und Russland nicht gehört und schon gar nicht ernst genommen werden. Als geeintes Europa haben wir hingegen Gewicht auf dem internationalen Parkett. Als geeintes Europa haben wir die Möglichkeit, unsere Interessen, unsere Politik voranzubringen. Vorausgesetzt, wir sprechen so, dass man uns auch verstehen kann: mit einer gemeinsamen Stimme.
Das wird allerdings nur möglich sein, wenn das Europa, in dem wir jetzt leben, weiter zusammenwächst. Wenn wir aufhören, Europa danach zu definieren, was es für uns tut, und zu verstehen beginnen, dass wir Europa sind. Wenn wir Europa gestalten. Wir alle.
Um ein letztes Mal die Eingangsfrage zu stellen: Welches Problem, welche große gesellschaftliche Herausforderung lässt sich heute noch auf nationaler Ebene lösen? Fällt uns immer noch keine Antwort darauf ein? Lautet die Antwort vielleicht: Keines? Nun, dann haben wir die Wahl. Wir können dem Multilateralismus, der internationalen Zusammenarbeit und einem geeinten Europa weiterhin den Rücken zudrehen. Wir können versuchen, der Vergangenheit nachzurennen, und uns der Stagnation hingeben.
Konrete Schrittein die Zukunft setzen
Oder aber wir entscheiden uns, konkrete Schritte in die Zukunft zu setzen. Schritte, von denen der erste bereits ansteht: Diesen Mai stellt sich das weltweit einzige direkt gewählte supranationale Parlament Neuwahlen. Das wissen wir - und dass die EU-Wahl 2019 über den weiteren Verlauf der Europäischen Union entscheiden wird, haben wir schon oft gehört. Und auch, dass Europa am Scheideweg steht, ist bekannt. Dass die EU-Wahl aber darüber entscheiden wird, ob wir als Österreicher und als Europäer künftig zu stillen Beobachtern der Weltpolitik werden oder aber eine Möglichkeit bekommen, unsere Interessen international und somit auch national durchzusetzen, das mag ein neuer Gedanke sein. Ein Gedanke, über den es sich nachzugrübeln lohnt.
Unsere Chance auf Mitbestimmung dürfen wir uns jedenfalls nicht nehmen lassen. Nicht heute und nicht in Zukunft.