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Nationalisten im Aufwind

Von Michael Schmölzer/Zagreb

Europaarchiv

"Wir waren und sind auf der Seite Kroatiens." Dieses Bekenntnis legte Bundespräsident Thomas Klestil gegenüber seinem kroatischen Amtskollegen Stipe Mesic anlässlich seines Staatsbesuches vergangene Woche ab. Nach Einschätzung Klestils wird der Balkanstaat bei der nächsten Beitrittswerbergruppe mit dabei sein. Die kroatische Regierung hofft, bereits im Jahr 2003 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen zu können, Außenminister Tinino Picula hat als Zeithorizont für den Beitritt Kroatiens das Jahr 2010 vorgegeben.


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Dass es Kroatien mit dem EU-Beitritt so eilig ist, hat handfeste Gründe: Denn Regierung und Land befinden sich derzeit "in einer schweren Krise", wie Präsident Stipe Mesic vor österreichischen Journalisten freimütig bekannte. Vor allem die Staatsverschuldung, die sich auf satte zwölf Mrd. US-Dollar beläuft, macht dem seit zehn Jahren unabhängigen Land schwer zu schaffen. Dazu kämen die Auswirkungen eines "falschen Privatisierungsmodells" unter Ex-Präsident Tudjman, das "die Betriebe zerstört" habe, so Mesic. Eine Fehlentwicklung, die jetzt durch Reformen beseitigen werden soll. Der kroatische Wirtschaftsminister Hrvoje Vojkovi will mit einem umfassenden Privatisierungspaket, das derzeit im Parlament behandelt wird, eine Entbürokratisierung der Betriebe und die Erhöhung der Rechtsicherheit für ausländische Investoren erreichen. Zudem sollen ausländische Unternehmen über Steuerermäßigungen angelockt werden. Mesic drückte gegenüber Klestil dann auch die Hoffnung auf größere Direktinvestitionen aus Österreich, dem Hauptinvestor in Kroatien, aus. Klestil versprach, vorerst Know-How im Hinblick auf die zu erwartenden Verhandlungen mit Brüssel zur Verfügung zu stellen. So sollen heimische Beamte ihre kroatischen Kollegen in der Kunst des Umgangs mit der EU-Bürokratie unterweisen.

Die angespannte soziale Lage in Kroatien, wo die Arbeitslosenquote bei über zwanzig Prozent liegt, ist unübersehbar. Vor dem Regierungsgebäude in Zagreb befindet sich derzeit ein Dutzend Ex-Polizisten im Hungerstreik. Sie gehörten während des verhassten Tudjman-Regimes einer Sondereinheit an und waren offiziell aus Einsparungsgründen entlassen worden.

Die Unzufriedenheit mit der derzeitigen Regierung unter Premierminister Ivica Racan hat aber auch breite Bevölkerungsteile erfasst. Nach letzten Umfragen sind nur noch 38 Prozent der Kroaten mit der Arbeit der regierenden fünf-Parteien-Koalition zufrieden. Eine Entwicklung, die der EU-kritischen, oppositionellen "Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft" (HDZ) in die Hände spielt: Die Regierungspartei aus der Ära Tudjman ist stärkste Einzelfraktion im Parlament und befindet sich laut Umfrageergebnissen wieder stark im Aufwind. Die Gefahr, dass die HDZ noch zu einem Stolperstein für Kroatiens Weg in die EU werden könnte, sieht Albert Rohan, Balkanexperte des österreichischen Außenministeriums, allerdings nicht. Es handle sich bei der HDZ um eine "Bewegung", die keine Zukunft habe und über kurz oder lang zersplittern werde, so die optimistische Einschätzung Rohans im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".