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NATO an Informationsfront nun in der Offensive

Von Hubert Kahl

Politik

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Brüssel · Die Schmach wollte die NATO nicht länger auf sich sitzen lassen. Nach dem Angriff auf einen Flüchtlingstrek im Kosovo, bei dem in der vergangenen Woche mehr als 70 Menschen getötet

worden sein sollen, hatte die Allianz ihr bisher größtes Informationsdebakel erlebt. Zuerst hatte sie vehement bestritten, damit irgendetwas zu tun zu haben, dann übernahm sie zu einem Teil die

Verantwortung für den Zwischenfall, und später relativierte sie wieder alles.

Fünf Tage später ging die NATO nun an der "Propagandafront" in die Offensive. Der US-Luftwaffenkommandeur Daniel Leaf führte der Weltpresse im Brüsseler NATO-Hauptquartier Dias vor, zeigte die

Videoaufnahmen von den beteiligten Kampfflugzeugen und präsentierte komplizierte Schaubilder und reihte militärische Abkürzungen auf, die nur für Experten verständlich waren. Der amerikanische

General, der die Untersuchungen über den Angriff auf den Flüchtlingskonvoi geleitet hatte, ließ nicht ein Detail aus.

Sein Fazit war: Es kann sein, daß die NATO-Bomber bei ihren Angriffen nahe Djakovica versehentlich auch Zivilisten getötet haben. Für das im serbischen Fernsehen gezeigte Blutbad könnten die NATO-

Piloten insgesamt aber nicht verantwortlich sein. "Augenzeugen des Angriffs auf den Konvoi haben berichtet, sie seien von Hubschraubern angegriffen, mit Maschinengewehren und Granaten beschossen

worden", sagte General Leaf. Die NATO habe aber nur lasergesteuerte Bomben abgefeuert und keine Hubschrauber, Maschinengewehre oder Granaten eingesetzt.

Der General schilderte Minute für Minute des Ablaufs der Angriffe von Djakovica. Mit dieser Detailbesessenheit wollte die NATO ihr Informations-Tohuwabohu der vergangenen Woche vergessen machen und

verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Als in der vorigen Woche die TV- Bilder von den zerschossenen Traktoren und den zerfetzten Leichen der Flüchtlinge um die Welt gingen, wurden der Allianz zwei

Vorwürfe gemacht: Zuerst könnten ihre Piloten "einen Flüchtlingstrek nicht von einem Militärkonvoi unterscheiden", wie es die spanische Zeitung "El Mundo" formulierte, und dann versuche die

Allianz noch Fehler zu vertuschen.

Mit den Erklärungen des US-Generals wollte die NATO nun Offenheit demonstrieren nach der Devise: Wir können die Vorgänge von Djakovica nicht ganz aufklären, es kann sein, daß wir Fehler gemacht

haben, aber wir geben dies offen zu. Die Allianz ist bei ihrer Operation in Jugoslawien auf der Vertrauen der Öffentlichkeit in den NATO-Staaten angewiesen. Die Regierungen der NATO-Länder werden die

Luftangriffe nur solange unterstützen, wie die Mehrheit der Bevölkerung dahintersteht. Unter diesem Gesichtspunkt war der Auftritt des Generals vor dem Pressekorps für die NATO beinahe eine

"entscheidende Schlacht".