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NATO fürchtet, in Mazedonien zwischen die Fronten zu geraten

Von Jeffrey Ulbrich

Politik

Brüssel - Die NATO steht mit ihrer Entscheidung über die angekündigte Truppenentsendung in das Krisengebiet Mazedonien vor einem Problem.


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Angesichts der - trotz Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Slawen und Albanern - unsicheren Lage könnte sich die Truppe zwischen den Fronten wiederfinden, wenn es mit dem Waffenstillstand zwischen den Albanerrebellen und der mazedonischen Armee doch nicht klappt. Die Allianz steht vor einem Dilemma: Entschließt sie sich zu schnell zur Entsendung der Truppe, könnten die Soldaten bei einer erneuten Zunahme der Kämpfe in des Teufels Küche geraten, wartet man zu lange, könnte der fragile Friedensprozess zerbröseln. Deshalb wollte der NATO-Rat beschließen, erst einmal eine Vorausabteilung von rund 400 Mann in das Balkanland zu schicken, womit noch keine Vorentscheidung über die Entsendung der gesamten Truppe verbunden wäre.

Das Bündnis hat sich verpflichtet, zur Überwachung einer Übergangsperiode zwischen Krieg und Frieden "für eine begrenzte Zeit im begrenzten Rahmen" 3.500 Soldaten nach Mazedonien zu schicken. Doch nach dem forschen Beschluss schlich sich Unbehagen ein. Man fürchtete, mit der vermeintlichen Friedensmission in eine selbst gestellte Falle zu tappen. Als mahnendes Beispiel gilt Kosovo, wo sich die NATO-geführte KFOR-Truppe nach ihrem Einmarsch 1999 in die Auseinandersetzungen zwischen der albanischen UCK-Guerilla und der verbliebenen serbischen Minderheit verstrickt sieht.

In erster Linie soll die NATO-Truppe in Mazedonien die freiwillige Entwaffnung der UCK-Rebellen überwachen. Erst wenn die slawo-mazedonische Führung die Entwaffnung für ausreichend hält, ist mit der Billigung größerer Rechte für die albanische Minderheit durch das Parlament in Skopje zu rechnen.

Großes Rätselraten über Zahl der UCK-Waffen

Was aber ist akzeptabel, wie viele Waffen müssen die Rebellen abliefern, um die Bedingungen zu erfüllen? Die UCK hat sich am Dienstag zur Abgabe von 2000 Waffen bereit erklärt, was vielen Beobachtern als lächerlich wenig erscheint. Die in Skopje erscheinende Zeitung "Dnevnik" schrieb von einer Million abzuliefernder Waffen, was vermutlich stark übertrieben ist. Major Barry Johnson, NATO-Militärsprecher in Skopje, sah sich jedenfalls nicht im Stande, eine halbwegs genaue Zahl anzugeben. Die Analysen dauerten noch an.

Fast niemand rechnet bei der NATO damit, dass die Rebellen alle Waffen abgeben. Zur Begründung fallen manchem wieder nur die alten Klischees vom "wilden Balkan" ein: Hier habe eben jeder Mann, der was auf sich halte, eine Waffe daheim, erklärt ein Diplomat. Ein anderer versteigt sich sogar zu der These, im Wald vergrabene Waffen seien so gut wie abgelieferte, solange keiner herumlaufe und sie benütze. Doch so wird es nach Ansicht der meisten Beobachter nicht gehen. Das erinnert nun doch zu stark an das Kosovo, wo angeblich vernichtete Waffen später wieder auftauchten und von der zu einer regulären Schutztruppe mutierten angeblich aufgelösten UCK gegen die Serben verwendet wurden. Eine Menge dieser Waffen, so vermuten Balkan-Kenner, sind heute noch in Mazedonien im Einsatz.