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Nato: Mit 60 Jahren in der Sinnkrise

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Debatte über Ziele und Afghanistan. | Dem Kind des Kalten Krieges fehlt der Feind. | Ein 60. Geburtstag ist nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Zwar werden beim zweitägigen Nato-Gipfel, der am Freitag beginnt, sicher auch feierliche Reden zum 60-jährigen Bestehen des Bündnisses geschwungen werden, aber schon die Diskussionen um die künftige Strategie des Nordatlantikpaktes im Vorfeld machen deutlich: Der Jubilar steckt in einer Sinnkrise.


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Als am 4. April 1949 zwölf Staaten das Gründungsdokument zur "North Atlantic Treaty Organisation" in Washington unterschrieben, war der Feind noch klar. Zwei Jahre zuvor hatte es US-Präsident Harry S. Truman zum außenpolitischen Grundsatz gemacht, "freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen." Gemeint waren die Länder im Einflussbereich der Sowjetunion, die allmählich in Volksdemokratien umgewandelt wurden, und Staaten wie Griechenland, wo ein Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg befürchtet wurde. Die Truman-Doktrin wurde zum eigentlichen Startschuss des Kalten Krieges.

Krieg gegen wen?

Das wirtschaftliche Mittel im Kampf gegen den Kommunismus war der Marshall-Plan, das politische der Nordatlantikpakt, der ab Juli 1948 vorbereitet wurde. Ab 1955 gab es auch auf der Gegenseite ein Äquivalent, den Warschauer Pakt.

Nach dem Zusammenbruch des sogenannten sozialistischen Lagers um 1990 brach der Nato der Feind weg, ohne dass jemals der sogenannte Bündnisfall durch einen Angriff auf ein Mitglied eingetreten wäre. Der transatlantische Pakt stürzte in seine erste Sinnkrise, aus der er erst durch die Al-Kaida-Terrorattacken vom 11. September 2001 erlöst wurde. Diese wurden als kriegerischer Angriff auf die USA gewertet, der Bündnisfall trat erstmals ein - der Gegner hieß Afghanistan, wo die radikalislamistischen Taliban regierten und Al-Kaida-Chef Osama bin Laden einen vermeintlich sicheren Hafen gefunden hatte.

Mehr als sieben Jahre später ist noch immer Afghanistan das Hauptthema der Nato. Die Mitgliedsstaaten sind sich einig, dass die Reputation des Bündnisses auf dem Spiel steht. Das Land soll nicht wieder in die Hände der Radikalislamisten fallen.

Immer öfter ist aber die Meinung zu hören, dass dieser Krieg militärisch nicht zu gewinnen sei. Viele plädieren daher für die von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel vertretene Option, das Land zumindest soweit zu stabilisieren, dass es sich aus eigener Kraft der Taliban erwehren kann. Der Nato würde dies erlauben, sich allmählich zurückzuziehen.

Der Aufforderung von US-Präsident Barack Obama, zu diesem Behuf größere Truppenkontingente nach Afghanistan zu entsenden, wird dennoch Widerstand entgegengesetzt. Die Europäer wollen sich lieber auf die Entsendung von Gendarmen zur Schulung afghanischer Polizeikräfte beschränken, wie dies Frankreich und Deutschland vorhaben. Die Regierungen fürchten die Wut ihrer Bürger, die um ihre Soldaten bangen. Und sie fürchten um ihre Budgets, die durch die Weltwirtschaftskrise ohnehin schon überlastet sind.

Überforderung der eigenen Kapazitäten sieht auch Deutschland, dessen westlicher Teil sich 1955 dem Pakt angeschlossen hat, am Horizont dräuen. Zwar könnten auch in Hinkunft Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes nötig sein, meinte Außenminister Frank-Walter Steinmeier - "ich warne allerdings davor, die Nato zu einer Art Weltpolizist zu machen."

"Keine globale Nato"

Obama-Vorgänger George W. Bush hatte diese Vision, der neue US-Präsident hat sich von ihr nicht wirklich verabschiedet. Die Nato ist schon jetzt nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Kosovo, im Kampf gegen Piraten und teilweise im Irak engagiert. Steinmeier sieht die Nato dagegen eher als "europäischen Sicherheitsdienstleister". Auch Angela Merkel drängte am Donnerstag in einer Regierungserklärung zum Nato-Gipfel dazu, sich auf die "kollektive Sicherheit der nordatlantischen Partner" zu konzentrieren.

"Ich sehe keine globale Nato." Sie warnte vor einer neuerlichen Erweiterung, auch wenn sie die Beitrittsperspektive für die Ukraine und Georgien nicht zurücknehmen wollte. Ihre Hinhaltetaktik gegenüber diesen beiden Ländern muss sie mittlerweile bestätigt sehen - in der Ukraine herrscht innenpolitisches Chaos, und Georgien hat vergangenes Jahr einen Krieg mit Russland ausgelöst.

Bedrängte Russen

Barack Obama sieht das anders, auch wenn dies den angestrebten besseren Beziehungen zu Russland entgegensteht: "Wir werden an unserer zentralen Überzeugung festhalten, dass Länder, die der Nato beitreten wollen, dies auch tun dürfen." Russland fühlt sich freilich, formulierte der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, schon längst "über den Tisch gezogen", weil die versprochene Zurückhaltung bei der Nato-Erweiterung ausgeblieben ist.

Das Land hat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts traumatische Erfahrungen mit feindlichen Nachbarn gemacht. Historiker meinen, dass der sowjetische Diktator Josef Stalin auch deswegen einen Ostblock von Vasallen errichten ließ, um einen Puffer gegenüber dem westlichen Gegner zu haben.

Diese Erfahrungen haben freilich wiederum die ehemaligen Volksdemokratien und Sowjetrepubliken traumatisiert. Sie drängen auf eine scharfe Haltung gegenüber den Russen. Für manche der jungen Nato-Mitglieder geht der Beitritt allerdings wohl eher mit der Hoffnung auf westlichen Wohlstand einher - etwa bei den Neuzugängen Albanien und Kroatien, die auch gerne in die EU wollen.

Mit dieser Ausdehnung auf 28 Mitglieder wird auch die Konsensbildung schwieriger, wie es mit dem Bündnis weitergehen soll. Zumal die US-Regierung nun sogar ihren einenden Slogan "Krieg gegen den Terror" aufgegeben hat.