Dass so gar nicht über Österreichs zukünftige Sicherheit diskutiert wird, ist beschämend, aber logisch.
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Es gehört zu den eher eigenartigen Charakteristika der hiesigen Innenpolitik, dass sehr oft Themen umgekehrt proportional intensiv zu ihrer Relevanz abgehandelt werden. Eher Operettenhaftes wie gewisse Chatverläufe wird in epischer Breite monatelang bis zum Erbrechen erörtert; für den Staat höchst relevante Themen hingegen werden nicht einmal ignoriert. So wie etwa die spätestens seit Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine geradezu existenzielle Frage, wie Österreichs Landesverteidigung in den nächsten Jahrzehnten beschaffen sein soll, nach welchen Prinzipien sie organisiert werden soll und welchen Preis der Steuerzahler dafür wird entrichten müssen.
Andere vergleichbare Staaten wie Finnland, Schweden und bis zu einem gewissen Grad auch die Schweiz beschäftigen sich seit einem Jahr extrem intensiv mit dieser Thematik, überdenken grundsätzlich bisherige Dogmen und haben ihre Politik zum Teil komplett neu aufgesetzt, etwa durch den geplanten Nato-Beitritt der beiden bisher blockfreien nordischen Staaten. In Österreich hingegen haben nahezu alle Parteien eine schwere Betonplatte über das Thema geschoben. Während etwa das finnische Parlament jüngst mit 180 zu 20 Stimmen für den Nato-Beitritt votierte, fand im österreichischen Nationalrat noch nicht einmal eine Debatte darüber statt. Das Thema existiert einfach nicht. Und das ist gar nicht gut so.
Grundsätzlich hat Österreich drei Optionen: Die erste wäre der Nato-Beitritt unter gleichzeitiger Aufgabe der Neutralität, die im Ernstfall ohnehin ein Muster ohne Wert wäre - die bei weitem vernünftigste Lösung, weil sie ein Optimum an Sicherheit gewährleisten und endlich Schluss machen würde mit der unwürdigen sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerei.
Möglich wäre aber auch zweitens eine militärische Hochrüstung der Republik etwa in der Größenordnung der Schweiz, die gerade drei Dutzend supermoderne Kampfflugzeuge F-35 für schlanke 7 Milliarden Euro gekauft hat und auch sonst nicht gerade an ihrer Armee spart. Das hätte, anders als die österreichische Massenillusion Neutralität, tatsächlich eine gewisse abschreckende Wirkung. Der Nachteil: Die Kosten wären gleich oder eher noch höher als beim Nato-Beitritt, die Sicherheit mangels Beistandsverpflichtung hingegen geringer.
Die dritte, und leider mit Abstand wahrscheinlichste Variante heißt "weiterwursteln wie bisher" plus ein paar hundert Millionen Euro, die zusätzlich verbraten werden, ohne das Bundesheer auch nur annähernd ausreichend kampfstark zu machen.
Die Ursache ist klar. "Es gibt das Tabuwort Neutralität, über die niemand diskutieren will, weil sie eine Zustimmungsrate von 80 Prozent hat. Aber die Windstille in Sachen Sicherheitspolitik halte ich für unverantwortlich", hat Österreichs Top-Diplomat Emil Brix jüngst im "Kurier"-Interview diagnostiziert, und er hat völlig recht damit. Das tut sich niemand an. Aber auch hier gilt, wie so oft in der heimischen Politik, das Diktum des französischen Staatsmannes Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754 bis 1838): "Da geht mein Volk. Ich muss ihm nach, ich bin sein Führer."