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Nato-Offensive stockt

Von Michael Schmölzer

Politik

Militärs verlieren Glauben an Sieg über die Taliban. | Einsatz ist längster Krieg in der US-Geschichte. | In Afghanistan wächst der Hass auf die Besatzer. | Washington/Wien. 30.000 zusätzliche Soldaten sind schon vor Wochen in Afghanistan eingetroffen, die Militäroperationen detailliert ausgearbeitet: Doch die groß angekündigte Offensive, mit der die Nato die Taliban in die Knie zwingen wollte, kommt nicht so recht vom Fleck.


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Längst sollten US-Soldaten gemeinsam mit ihren afghanischen Verbündeten im Umland von Kandahar vorgerückt sein und die zweitgrößte Stadt Afghanistans mit 450.000 Einwohnern von Islamisten "gesäubert" haben. Kandahar ist die Geburtsstätte der Taliban und bildet weiterhin das wichtigste Bollwerk im Aufstand gegen die Besatzer.

Doch die für Juni vorgesehenen Militäroperationen sind nicht erfolgt. Der mittlerweile im Weißen Haus in Ungnade gefallene US-General Stanley McChrystal hat die Offensive auf September verschoben - die USA seien nicht in der Lage, die notwendige Unterstützung der Stammesführer und Mittelsmänner zu gewinnen, so der General. Zudem stehe die Bevölkerung Kandahars den Invasoren feindselig gegenüber.

Eine andere mit viel Trommelwirbel eingeleitete Offensive in Helmand hat sich als kompletter Fehlschlag erwiesen, wie McChrystal eingestehen musste. Die Säuberung der Stadt Mardjah, im März als großer Sieg der US-Allianz in Afghanistan gefeiert, hat nichts gebracht. Die Taliban kontrollieren wie gehabt weite Teile der Region.

Auch die Zahl der Nato-Gefallenen zeigt, dass die Schlagkraft der Aufständischen in Afghanistan zu- statt abnimmt. Sie ist mit 274 mehr als doppelt so hoch wie zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr.

"Das Blatt wendet sich"

Im Nato-Hauptquartier in Brüssel ist man verzweifelt bemüht, die Lage schönzureden. Der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Admiral Giampaolo Di Paola, bittet um "strategische Geduld": Es bewege sich am Hindukusch alles in die richtige Richtung, es seien aber keine Wunder über Nacht möglich. Der Italiener vergleicht die Situation des Bündnisses mit der der Alliierten im Zweiten Weltkrieg: Man gewinne langsam die Oberhand, ohne dass das zum gegenwärtigen Zeitpunkt klar ersichtlich sei. 1942 habe sich das Blatt ebenfalls langsam und unmerklich gegen die deutsche Wehrmacht gewendet, ähnlich verhalte es sich 2010 mit den Taliban, ist der General reichlich kompliziert um Verbreitung von Zuversicht bemüht.

US-General McChrystal schöpft offenbar weniger Hoffnung aus der Geschichte: Nach kritischen Bemerkungen über die Afghanistan-Politik Washingtons sehen Beobachter seine Tage als Oberkommandierender gezählt. Immer öfter lässt der Offizier durchblicken, dass er an einen Sieg eigentlich nicht mehr glaubt. So meinte er gegenüber der "Financial Times", die Region um Kandahar könne man höchstens von einem von Taliban kontrollierten zu einem umkämpften Gebiet machen. Immer deutlicher werden jetzt die Anzeichen, dass weite Teile der US-Militärführung den Glauben an einen Erfolg in Afghanistan verlieren. Man habe sich, was Charakter und Stärke der Taliban angeht, lange falschen Vorstellungen hingegeben, heißt es hier. Und: Das Gesamtkonzept sei falsch.

Noch ein Detail stimmt viele pessimistisch: In diesem Monat überholt der Afghanistan-Einsatz den Vietnamkrieg als längster Krieg in der US-Geschichte.