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Die Diskussion über den NATO-Beitritt Österreichs findet auf zwei Ebenen der Argumentation statt. Die Gegner eines NATO-Beitritts stellen die österreichischen Sicherheitsinteressen (Österreich ist
nicht bedroht und würde im Falle eines Beitritts in Konflikte und Kriege der NATO verwickelt werden), die Befürworter eines solchen die europäischen Sicherheitsinteressen in den Vordergrund. Es
bestehe die Gefahr, dass die Turbulenzen an Europas Rändern (Rußland, Kaukasus, Nordafrika) auf Europa übergreifen, wovor nur die NATO schützen könne. Der NATO-Beitritt liege daher im Interesse
Österreichs (Reiter), sei eine Frage des Anstands (Lingens) oder ergebe sich aus der Zugehörigkeit Österreichs zum Westen, der sich nach den Spielregeln des Prof. Huntingens zum Kampf der Kulturen
rüste (Nenning).
Diese Diskussion beschränkt sich auf den NATO-Beitritt, läßt aber die wichtigere Frage nach Inhalt und Ziel der Sicherheitspolitik offen. Denn die Fähigkeit der NATO zu vernichtenden Luftschlägen ist
ja unbestritten, aber damit wird nicht die Frage beantwortet, ob die konfrontative und offensive Sicherheitspolitik der NATO dem Frieden in Europa und dem europäischen Sicherheitsinteresse dient. Die
NATO setzt die Sicherheitspolitik der Vergangenheit fort, ohne aus der Geschichte Lehren zu ziehen. Es ist eine Sicherheitspolitik, die auf Stärke, militärischer Überlegenheit, Expansion, Rüstung und
Feindsuche beruht und mit militärischer Gewalt die sogenannten nationalen Interessen durchsetzen will.
Kann das die Sicherheitspolitik der Zukunft sein, mit der die globalen und komplexen Probleme und Konflikte des 21. Jahrhunderts gelöst werden?
Aber es genügt nicht, bloß festzustellen, dass der Beitritt zur NATO der falsche Weg ist, sondern es ist die Frage zu stellen, wodurch sich eine europäische Sicherheitspolitik von der
Sicherheitspolitik der NATO und ihrer vergangenheitsorientierten Militärideologie unterscheiden sollte.
Eine europäische Sicherheitspolitik kann sich an der Perspektive einer europäischen Militärmacht orientieren, die dann ähnlich wie die NATO agieren wird. Sie kann sich aber auch an einer europäischen
Friedensmacht orientieren, die Kriege und Gewalt durch Kooperation, Verhandlungen, Prävention, Deeskalierung und friedliche Konfliktlösung vermeiden will und einen Frieden nicht gegen den anderen,
sondern mit dem anderen anstrebt.
Die Konsequenzen einer solchen friedensstiftenden Sicherheitspolitik heißen Senkung des Militärhaushalts. Abrüstung, defensive Verteidigung und Mitwirkung bei Friedensmissionen der UNO im Umfeld des
eigenen Kontinents sowie Verzicht auf die Androhung militärischer Gewalt zur Durchsetzung von Macht- und Wirtschaftsinteressen. Der Einsatz militärischer Gewalt ist auf den äußersten Notfall
einzuschränken. Anstelle des Schwerpunkts der militärischen Sicherheitspolitik soll der großzügige Auf- und Ausbau von zivilen und polizeilichen Mittel zur Friedenssicherung treten.
Die Durchführung einer solchen friedensstiftenden Sicherheitspolitik erfordert einen Quantensprung, eine Transformierung der bestehenden Sicherheitspolitik, die auch mit kleinen Schritten beginnen
kann und die es in Ansätzen zumindest verbal (Bekenntnis zu Krisen- und Konfliktprävention) schon gibt. Der Westen könnte es sich dank seiner militärischen und ökonomischen Übermacht auch leisten,
seine exzessive Sicherheitspolitik zu beenden und den Weg einer zukunftsorientierten Sicherheitspolitik einzuschlagen.
Die heutige sicherheitspolitische Realität spricht aber dagegen, da die Regierungen der europäischen Großmächte auf ihre privilegierte Machtstellung freiwillig nicht verzichten werden. Dennoch ist
eine Friedensmacht Europa, eine friedensstiftende Sicherheitspolitik nicht undenkbar. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, wie schnell Realitäten brüchig werden. Jeder Staat, der einem Militärbündnis
nicht beitritt, durchbricht dessen Machtzirkel und durchlöchert die herrschende sicherheitspolitische Realität.
Wer könnte Vorreiter einer solchen Entwicklung sein? Wahrscheinlich nicht die Großmächte, sondern neben dem Druck von unten · die Kleinstaaten, die zu ihrer Anerkennung nicht auf Machtzuwachs und
Großmannssucht angewiesen sind. So kann die Ablehnung des NATO-Beitritts durch die neutralen und paktfreien Staaten zum politischen Symbol für eine sicherheitspolitische Wende werden. Diese Rolle
erfordert nicht nur Mut · der mediale und diplomatische Druck wird zunehmen ·, sondern auch Glaubwürdigkeit. Glaubwürdig ist die pragmatische Beschränkung des Militärischen auf das Notwendigste nur
dann, wenn gleichzeitig die politische Bereitschaft besteht, in die friedliche Konfliktlösung (Ausbildung und Aufstellung ziviler und polizeilicher Einheiten) verstärkt zu investieren.
Ob die neue österreichische Bundesregierung diesen Mut zum Widerstand hat und diese Bereitschaft aufbringt, ist nicht sehr wahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Es wäre ein Schritt von einer
vergangenheitsorientierten zu einer zukunftsorientierten Sicherheitspolitik.
Dr. Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung, Burg Schlaining.