Zum Hauptinhalt springen

NATO-Schicksal hängt am US-Faden

Von Walter Hämmerle

Politik

Beim gestrigen Gipfeltreffen der NATO-Staaten mit US-Präsident George W. Bush verteidigte Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal mehr seinen Vorschlag für eine grundlegende Reform des transatlantischen Bündnisses. Für den Sicherheitsexperten der Münchner Hanns-Seidel-Stiftung, Reinhard Meier-Walser, wird jedoch die NATO auch weiterhin das bleiben, wofür sie die USA einsetzen wollen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Schröder war bei dem Treffen viel daran gelegen, alle aufgekommenen Missverständnisse auszuräumen: Es gehe ihm um eine Stärkung des transatlantischen Verhältnisses, legte der Bundeskanzler ein eindeutiges Bekenntnis zur NATO ab. Nach 50 Jahren deutscher Mitgliedschaft konstatierte er, dass "das Bündnis Teil der deutschen Staatsräson geworden ist und bleiben wird". Die NATO sei "einer der wichtigsten Orte, an denen die transatlantischen Beziehungen diskutiert werden". Unterstützung erhielt Schröder vom französischen Staatspräsidenten Chirac und sogar von NATO-Generalsekretär Scheffer, der ihn noch vor Wochenfrist kritisiert hatte. In der Sache habe es im NATO-Rat ein "großes Maß an Übereinstimmung" gegeben, wenngleich: "In der Form wird darüber zu diskutieren sein."

Einmal mehr blieb Schröder aber schuldig, was er konkret unter Reform versteht. Lediglich, dass ein Gremium von "elder statesmen" Vorschläge ausarbeiten und sich dabei auch Gedanken über das Verhältnis zwischen EU und NATO machen soll. Mit seiner Forderung, dass Fragen wie Irak, Nahost und Iran an zwei Orten diskutiert werden müssten, nämlich in der EU und der NATO, machte Schröder noch einmal deutlich, mit dem Ausmaß an strategischen Diskussionen im Bündnis selbst nicht zufrieden zu sein.

Zumindest auf rhetorischer Ebene scheint Schröder mit seinem Vorstoß immerhin erfolgreich gewesen zu sein, heißt es doch in der Abschlusserklärung des Gipfels wörtlich: "Wir sind entschlossen, die Rolle der NATO als ein Forum für strategische und politische Konsultationen und Koordination zwischen den Bündnispartnern zu stärken." Auch die strategische Partnerschaft mit der EU solle weiter entwickelt werden. In welcher Form dies geschehen soll, blieb in der Erklärung erwartungsgemäß unerwähnt.

Geringe Erwartungshaltungen hat diesbezüglich der aus Österreich stammende und in Deutschland lehrende Sicherheitsexperte Meier-Walser: "Die NATO wird das bleiben, für was sie die USA instrumentalisieren - ein Pool, aus dem man sich je nach Bedarf bedienen kann", erklärte er gegenüber der "Wiener Zeitung". Auch dem jetzt plötzlich laut werdenden Ruf nach einer Reform des Bündnisses kann er wenig abgewinnen, sei doch die NATO insbesondere in den vergangenen 16 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges "einem ständigen Transformationsprozess" unterworfen gewesen. In dieser Zeit hat sich die NATO von einem kollektiven Verteidigungsbündnis zu einem kollektiven Sicherheitsbündnis mit insgesamt 26 Mitgliedsstaaten aus West und Ost entwickelt, das sogar "out of area"-Einsätze vorsieht.

Verantwortlich dafür, dass sich auf absehbare Zeit nur wenig an der Verfasstheit der NATO ändern wird, ist für Meier-Walser, die Überzeugung der USA, nach der die Mission die Koalition zu bestimmen hat - und nicht umgekehrt. Diese Einstellung sei eine Folge der Erfahrungen aus dem Kosovo-Krieg Ende der 90er Jahre gewesen, wo bei den NATO-Staaten zwar die Lust auf Mitsprache groß, die Bereitschaft zur Lastenteilhabe jedoch gering gewesen sei.

Trotz des überschwänglichen US-Lobes für die NATO bleibt diese jedoch aus deren Sicht eine ambivalente Institution: Die US-Strategie von "Koalitionen der Willigen" relativiere einerseits zwar den Stellenwert des Bündnisses, andererseits ergebe sich durch die Aufnahme der ehemals kommunistischen Reformstaaten ein größerer Spielraum für Koalitionen, erläutert Meier-Walser. Dieses ambivalente Verhältnis der USA werde so lange bestehen bleiben, wie die EU nicht fähig sei, ihre "sicherheitspolitischen Hausaufgaben" zu erledigen. Und genau solange brauchen die Europäer die NATO mehr als es die USA tun - der eigentliche Grund, weshalb Schröder und Co auf mehr Gehör innerhalb des Bündnisses pochen.