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Bisher stand die Allianztreue nie ernsthaft in Zweifel. Das könnte sich nun ändern. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit der Nato.
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Die Türkei kauft das modernste russische Luftabwehrsystem S-400, weshalb es der erboste US-Präsident Donald Trump prompt aus dem Beschaffungsprogramm des US-Kampfjets F-35 wirft. Die Regierung in Ankara beklagt das als unfair und moniert, dass dieser einseitige Schritt gegen den Geist der Militärallianz verstoße. In der Nato versucht man, die Entwicklungen herunterzuspielen. Doch was ist davon zu halten?
Dass die Türkei ein schwieriger Nato-Partner ist, war hinlänglich bekannt. Den Anspruch auf Eigenständigkeit hat sie bereits im Jahr 2003 eindrucksvoll demonstriert, als Ankara den Einmarsch von US-Truppen in den Irak über türkisches Territorium untersagte. Doch bisher stand die Allianztreue nie ernsthaft in Zweifel - das könnte sich nun ändern. Vor allem der Streit mit den USA über die Unterstützung der Kurden in Syrien - für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist die PKK der gefährlichste Feind - scheint die grundsätzliche sicherheitspolitische Ausrichtung der Türkei nachhaltig zu beeinflussen.
Der Schwenk in der türkischen Sicherheitspolitik ist aber nicht überraschend, sondern eine logische Folge innen- und außenpolitischer Entwicklungen. Während das (vorgebliche?) Ziel einer EU-Mitgliedschaft immer weiter in die Ferne rückt, hat das militärische Engagement in Syrien Ankara näher an Moskau gebracht. Der "Zar" und der "Sultan" scheinen Gefallen an einer vertieften Kooperation zu finden, ihre strategischen Interessen scheinen sich in weiten Bereichen zu decken. Besonders die klaren und spontanen Unterstützungserklärungen Russlands nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Sommer 2016 haben sich für Präsident Erdogan wohltuend von den zögerlichen und halbherzigen Depeschen der EU und einzelner EU-Staaten abgehoben.
Militärstrategisches Gleichgewicht in Gefahr
Je näher die Türkei aber an Russland rückt, desto mehr könnte das militärstrategische Gleichgewicht in der Schwarzmeer-Region und im östlichen Mittelmeer aus den Angeln gehoben werden. Denn die Türkei galt immer als Pfeiler der Nato an der Südflanke und als Gegengewicht zu Kräften des damaligen Warschauer Paktes.
Russland hat auf der Halbinsel Krim seit 2014 bereits gewaltig aufgerüstet, die Ukraine als Nicht-Nato-Mitglied und auch die Nato haben hier nur wenig entgegenzusetzen. Verbindet man nun zusätzlich die steigenden Spannungen wegen der Erdgas-Probebohrungen um Zypern mit der angedeuteten Stationierung der russischen S-400-Raketensysteme in Nordzypern, dann offenbart sich, welch ungeahnte Dimensionen diese Entwicklungen haben könnten.
Die zentrale Frage lautet daher, ob Präsident Erdogan die Annäherung an Russland als politisches Druckmittel gegenüber dem Westen - vor allem den USA - versteht oder ob es sich tatsächlich um einen außen- und sicherheitspolitischen Richtungsschwenk handelt. Nachdem er selbst gerne mittels Druck agiert, wird wohl auch Druck aufgebaut werden, um ihn im westlichen Lager zu halten. Jüngste US-Sanktionen sind bereits ein kleiner Vorgeschmack, was die türkische Wirtschaft dabei erwarten könnte.
Russland spielt das in die Hände, es hat zum Beispiel sofort angeboten, russische Militärjets anstelle der amerikanischen F-35 zu liefern. Der politische Einfluss des Kreml in Sicherheitsbelangen würde dadurch sukzessive zunehmen. Dabei könnte er sehr gut mit dem Verbleib des "strategischen Partners" Türkei in der Nato leben - vielleicht käme das seinen Interessen sogar mehr entgegen als ein Nato-Austritt der Türkei.
Partner wie die Türkei sollte man nicht leichtfertig verlieren
Die USA und die EU haben dabei zu bedenken, dass alleine die geografische Lage der Türkei eine außergewöhnliche Bedeutung verleiht. So einen Partner sollte man nicht leichtfertig verlieren - trotz aller Spannungen und Diskrepanzen. Und Ankara hat zu beachten, dass der politische und ökonomische Preis für dieses Lavieren täglich steigt.
Alle Beschwichtigungsversuche von Nato und türkischen Repräsentanten können auf Dauer nicht erfolgreich sein. Der Lackmustest rückt näher - die Türkei wird sich in irgendeiner Form wieder klar und unmissverständlich zur Beistandsverpflichtung (Artikel 5) bekennen müssen. Ein wankelmütiger Partner in dieser bedeutenden Region, der vermehrt mit dem Risikofaktor Nummer eins - Russland - kooperiert, ist vermutlich das Letzte, was die Verteidigungsallianz braucht. Ihr höchstes Gut ist die Glaubwürdigkeit - und die leidet zunehmend unter dieser Entwicklung.