Russen ziehen aus Gori ab | Zusätzliche Militärbeobachter | Brüssel. Ungeachtet der fortdauernden russischen Militärpräsenz in Georgien haben mehrere NATO-Staaten auf einem Krisentreffen in Brüssel vor einem Bruch mit Moskau gewarnt. Bei Beratungen der 26 NATO-Außenminister in Brüssel zeichnete sich Unterstützung für Georgien und scharfe Kritik am russischen Einmarsch in der Kaukasusrepublik ab.
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US-Diplomaten hatten vor dem Treffen unter anderem angeregt, den NATO-Russland-Rat vorerst nicht mehr auf Ministerebene tagen zu lassen.
"Ich glaube nicht, dass Isolation die richtige Antwort auf Russlands Fehlverhalten ist", sagte der britische Außenminister David Miliband zu Beginn des Krisentreffens. Zugleich betonte er jedoch: "Wir können nicht so tun, als sei nichts geschehen."
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte Russland auf, seine Truppen aus dem georgischen Kerngebiet zurückzuziehen.
Russischer Abzug aus Gori
Am Dienstag haben die haben die russischen Truppen mit ihrem angekündigten Abzug aus der georgischen Stadt Gori begonnen. Soldaten: Reuters zufolge wollen die Truppen über die südossetische Hauptstadt Zchinwali abrücken. Ziel sei der Militärstützpunkt in der russischen Stadt Wladikawkas.
In das teilweise zerstörte Gori, den Geburtsort des Sowjetdiktators Stalin, sind etwa 60 Prozent der Bevölkerung zurückgekehrt. Das teilte der Gebietsgouverneur Lado Bardselaschwili mit.
Unterdessen stimmte nach Russland auch Georgien einer Entsendung von zusätzlichen Militärbeobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in das Krisengebiet Südossetien zu. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili habe grünes Licht gegeben, sagte der amtierende Vorsitzende der OSZE, Finnlands Außenminister Alexander Stubb, am Dienstag am Rande des NATO-Krisentreffens in Brüssel. Es müsse aber noch eine förmliche Bestätigung des Ständigen OSZE-Rates in Wien geben.
Eine Woche nach dem Waffenstillstand zwischen Russland und Georgien wird die OSZE somit die Zahl ihrer Militärbeobachter im Krisengebiet von bisher 9 auf 29 aufstocken.
Gefangenenaustausch
Erstmals seit der vor einer Woche verkündeten Feuerpause tauschten Russland und Georgien am Dienstag gefangen genommene Soldaten aus. Das georgische Verteidigungsministerium teilte in Tiflis mit, es seien 15 georgische und fünf russische Soldaten ihren Einheiten überstellt worden.
Weiterhin Truppenpräsenz
Nach Angaben des georgischen Innenministeriums kontrollierten russische Truppen auch am Dienstag weiter georgische Städte. Genannt wurden unter anderem Poti am Schwarzen Meer sowie die Garnisonsstadt Senaki unweit der Grenze zum abtrünnigen Gebiet Abchasien. Russische Soldaten durchsuchten Privatautos auf Waffen.
Beim NATO-Treffen in Brüssel forderte Steinmeier eine Stabilisierung der Region. "Das wird ohne die Konfliktparteien nicht gehen", sagte Steinmeier. "Deshalb drängen wir auch Russland dazu, sich jetzt mindestens aus Kerngeorgien zurückzuziehen, damit Gespräche über einen dauerhaften Waffenstillstand möglich werden." Steinmeier sagte, das Treffen der NATO-Außenminister sei "keine ganz einfache Sitzung".
Schewardnadse:Russland ist Bedrohung für Europa
Der frühere georgische Präsident Eduard Schewardnadse nannte Russland eine Bedrohung für Europa und forderte eine Bestrafung Moskaus. "Denn wenn die Europäer die Russen hier gewährenlassen, welche Garantien geben sie Polen oder den baltischen Staaten, dass sich ein solches Szenarium nicht wiederholt?", sagte der frühere sowjetische Außenminister der Zeitung "Le Parisien".
Die russische Position
Russland sieht sich hingegen nach den georgischen Angriffen auf Südossetien, die allem Anschein nach den Krieg auslösten, moralisch im Recht.
Die Staatsmedien lieferten mit ihren Schlagwörtern vom "Völkermord" der Georgier und der "Friedensmission" der weit nach Georgien eingedrungenen russischen Armee die Munition für den Krieg der Worte. Die Kritik des Westens, die sich auf das brachiale Vorgehen der russischen Streitkräfte und deren Verbleib in Georgien konzentriert, findet in Russland traditionell wenig Akzeptanz.
Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin, ein gelernter Journalist mit dem undiplomatischen Hang zur Provokation, rückt aus Kremlsicht die Verhältnisse zurecht. "Die ganze Verantwortung für die heutige Sicherheitslage haben die USA und ihre Verbündeten", erklärte Rogosin wenig zimperlich vor dem NATO-Krisentreffen in Brüssel.
Die Moskauer Tageszeitung "Wremja Nowostej" vermutet, dass Rogosins provokante Haltung auch von der eigenen Staatsspitze geteilt wird. "Rogosin darf eben freier und direkter als der Präsident seinen Gefühlen Lauf lassen", schrieb das Blatt am Dienstag.
(APA, DPA, Interfax, OSZE, Reuters)