Wechsel von Überschwemmungen und Dürreperioden wirkt sich positiv aus.
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Berlin. Im Dorf Cigoc am Hochufer der Save in Kroatien scheint die Zeit bereits im Mittelalter stehen geblieben zu sein. Ein paar Meter hoch hat hier der Fluss eine Böschung aufgeschwemmt, ganz oben thronen die Holzhäuser der Bauern. Links fällt der Hang fast unmerklich zu kleinen Gärten, Äckern und weiter unten saftigen Weiden ab. Rechts geht es deutlich steiler zum Fluss hinunter, dessen Wellen sanft ans Ufer plätschern. Diese Idylle aber kann sich in ein paar Tagen völlig ändern. Dann strömen die braunen Fluten der Save rechts nur wenig unter der Höhe der Straße, während links eine Seenlandschaft die Weiden und Äcker verschlungen hat. Diese riesige Überschwemmung aber schützt die Regionen bis zur Mündung des Flusses in die Donau in der serbischen Hauptstadt Belgrad vor Hochwasser. Fehlt doch das über die Felder von Cigoc und der benachbarten Dörfer gurgelnde Wasser weiter unten.
Hier können Wasserbau-Ingenieure beobachten, wie Hochwasserschutz in der Natur funktioniert, erklärt der Geschäftsführer der Naturschutzorganisation Euronatur in Radolfzell am Bodensee Gabriel Schwaderer. Seit 1987 arbeitet Euronatur an der Save im Naturpark Lonjsko Polje. Wenn die Save als einziger Fluss im Tiefland Mitteleuropas noch heute ihrem natürlichen Lauf folgt, ist das eine Folge des Vorstoßes der Osmanen nach Mitteleuropa. Im 16. Jahrhundert kam deren Angriff an ihren Ufern weitgehend zum Stehen. Danach war der Fluss ein Teil der Militärgrenze zwischen Europa und dem Orient. Der Fluss selbst und seine sumpfigen Überschwemmungsflächen bildeten ein natürliches Hindernis, den Rest erledigten eigens hier angesiedelte Wehrbauern. Noch heute trennt die Save auf weiten Strecken das christliche Kroatien vom islamischen Bosnien. An dieser ewigen Grenze aber wurden dann auch anders als im Rest Mitteleuropas kaum Deiche gebaut.
Bereits vor Jahrhunderten lernten die Wehrbauern auf der kroatischen Seite daher, mit dem Fluss zu leben. Einfach ist das nicht, weil die Save und ihre Nebenflüsse gleich aus drei unterschiedlichen Klimaregionen ihr Wasser beziehen. Zu verschiedenen Jahreszeiten kann es in diesen drei Regionen sintflutartige Regenfälle geben. Dann steigt der Wasserstand im Fluss fast schlagartig um einige Meter an, zehn Meter zwischen niedrigem Wasserstand und Hochwasser sind keine Seltenheit.
In jeder Sekunde fließen dann bis zu 3000 Kubikmeter Wasser in der Save. Der im August 2012 verstorbene Euronatur-Projektleiter Martin Schneider-Jacoby hat diese unvorstellbaren Mengen gern mit einem Beispiel erklärt: "In gerade einmal sieben Sekunden setzt eine solche Flut einen Fußballplatz zwei Meter tief unter Wasser." Ein solches Save-Hochwasser verwandelt die Weiden der Rinder, Pferde und Schweine in der Nähe des Flusses also rasch in eine riesige Seenlandschaft. Allein im Naturpark Lonjsko Polje kann der Fluss zwei Milliarden Kubikmeter Wasser zwischenlagern.
Die Bauern an den Ufern zahlen einen recht geringen Preis für diesen Hochwasserschutz weiter flussabwärts: Ihre Häuser bauen sie ganz oben auf den kleinen Hügeln, die der Fluss bei den häufigen Fluten an seinen Ufern aus weiter oben mitgerissenem Material anschwemmt. "Dammufer" nennen Geoforscher diese nur wenige Meter hohen Erhebungen, die auch extreme Hochwasser nicht überfluten. Gleich hinter ihren Häusern legen die Bauern Gemüsegärten und Maisäcker ganz oben auf dem flach abfallenden Hang an. Dort kommt das Hochwasser meist nur ein oder zwei Wochen im Jahr hin und düngt dabei auch noch das Feld. Die Viehweiden weiter unten stehen zwar in regenreichen Jahren oft einige Monate unter Wasser, aber wenn das Hochwasser wieder abfließt, wächst die Vegetation auf den Weiden besonders gut, da der Fluss dort mit dem mitgerissenen Schlamm auch jede Menge Nährstoffe abgelagert hat.
Auch die Natur profitiert vom Wechsel zwischen Überschwemmungen und Dürreperioden. An der Save leben viele Arten vom Löffler und Seidenreiher bis zum Schreiadler, die andernorts längst aus Europa verschwunden sind.
Ein Hochwasser trägt aber nicht nur Dünger auf die Äcker und Weiden, sondern schwemmt auch Material vom Dammufer weg und lagert es flussabwärts wieder an. Langsam aber sicher wandert der Hügel also weiter, mit der Zeit rückt der Fluss näher an die Häuser an seinem Ufer. An manchen Stellen wandert die Save so im Jahr ein oder zwei Meter seitwärts.
Wandernde Grenze
"Drohten die Häuser über die Abbruchkante zur Save hinunterzustürzen, schoben die Bauern drei oder vier Balken unter", erklärt der Leiter des Naturparks Lonjsko Polje, Goran Gugi, die althergebrachte Gegenmaßnahme. Ochsengespanne zogen dann das auf diesen Balken stehende Holzhaus einige Meter vom Fluss weg, wo es die nächsten Jahrzehnte vor dem seitlich wandernden Fluss sicher war. Moderne Häuser lassen sich nicht so leicht verschieben. Ihnen helfen "Buhnen": Vom Ufer werden niedrige Steindämme schräg in den Fluss hinein gebaut. Dabei kommt es zu Verlandungen, die Buhne drängt den Fluss praktisch vom Dorf weg.
Nur die Politiker haben Probleme, wenn die Save zur Seite wandert. Grenzen liegen gerne in der Mitte von Flüssen. Wandern die Ufer, verschiebt sich die Flussmitte, nicht aber die Grenze. An manchen Stellen verliert ein Land so ein wenig seiner Fläche, die es aber an anderer Stelle oft wieder dazugewinnt, an der die Save neue Sandbänke anschwemmt. Langfristig gibt es also keine Verlierer. Trotzdem gewöhnen sich Politiker an diese Dynamik eines ungezähmten Flusses nur schwer, die Geoforscher fasziniert beobachten, weil sie in Mitteleuropa einmalig ist.