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Naturschutz als Existenzfrage

Von Thomas Veser

Reflexionen

Sierra Leone verfügt über den größten Naturwaldbestand Westafrikas. Der Erhalt dieses Ökosystems hängt von der Aufnahme des Nationalparks "Western Area Peninsula Forest" ins Unesco-Weltnaturerbe ab.


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Als sich Graham Greene in den 1930er Jahren vom Atlantik her Freetown näherte, bot sich dem englischen Schriftsteller und Journalisten ein überwältigender Anblick. "Der feuchte Tropendunst waberte durch die tiefer liegenden Straßen und legte sich wie Rauch über die Hausdächer." Hinter der Hauptstadt der damaligen britischen Kronkolonie, die Ende des 18. Jahrhunderts von englischen Philanthropen für befreite Negersklaven aus den USA gegründet worden war, ragten dicht bewaldete Hügel bis zu 1000 Meter in die Höhe.

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Wer den Wald und dessen Ressourcen nicht mehr nützen kann, braucht neue Perspektiven.
© Foto: Thomas Veser

Ein Panorama wie aus dem Bilderbuch, und daran hat sich wenig geändert. Dennoch vermag es nicht über die komplizierten Beziehungen zwischen Hauptstadt und Natur hinwegzutäuschen. Lebten in Freetown zu Greenes Zeiten einige Hunderttausend Menschen, liegt die Einwohnerzahl heute bei 1,5 Millionen. Viele waren während des Bürgerkriegs (1999-2002) aus ihren Heimatregionen in die vermeintlich sichere Stadt geflüchtet und dort geblieben. Die meisten erleben den Alltag seither als mühsamen Kampf ums Überleben.

Wassereinzugsgebiet

Freetown ist kräftig gewachsen - auf Kosten des Waldes. So entstand Bauland für neue Häuser, und auch das Brennholz für die Haushalte und Fischräuchereien der Stadt Tombo stammt aus diesem Wald. Im 175 Quadratkilometer großen, im Kernbereich noch weitgehend geschlossenen Western Area Peninsula Forest, heute Nationalpark und wichtiger Teil des Oberguinea-Waldblocks, befindet sich das zentrale Wassereinzugsgebiet. Von dort beziehen die Hauptstädter ihr Trinkwasser, das für seine Reinheit berühmt ist.

Nach einer beunruhigenden Zunahme von Erdrutschen und Überschwemmungen im Einzugsbereich der Hauptstadt ist die Regierung indes vorsichtig geworden. Vor zwei Jahren erklärte Staatspräsident Ernest Bai Koroma, dass "Frieden, Stabilität und Sicherheit in der westlichen Re- gion" nur über den Schutz des Parks zu haben seien. Um für dieses Anliegen die Sympathie der Anrainer zu gewinnen, stellte die Regierung bessere Verdienstchancen in Aussicht: Wer den Wald und dessen Ressourcen nicht mehr nützen kann, braucht neue wirtschaftliche Perspektiven. Die könnten sich etwa durch die Ausbildung zu einem gefragten Beruf erschließen. Schulungen im handwerklichen Sektor werden geboten oder die besonders gefragten Coiffeur- und Schneiderkurse.

Auch der Bereich Ökotourismus gilt in diesem Landesteil mit seinen Sandstränden als Erfolg versprechend. Gegenwärtig dienen die Strände allerdings noch als wilde Hausmülldeponien.

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Eine weitere Alternative bieten angemessene landwirtschaftliche Produktionsmethoden. Die Kursteilnehmer erwerben zugleich das nötige Know-how für die Vermarktung der Produkte in der nahen Hauptstadt. Mit Obst- und Gemüseanbau hatten die Küstenbewohner bisher wenig Erfahrung. Sie widmen sich traditionell der Fischerei.

Als Partner für diesen Wandel unter dem Motto "Wasser und Wald bedeuten Leben" empfahl sich das deutsche Hilfswerk Welthungerhilfe. Die auf rund drei Millionen Euro geschätzten Kosten für die Anfangsphase werden überwiegend von der Europäischen Union beigesteuert. Einstimmigkeit herrscht darüber, dass die Investition nur dann Sinn macht, wenn die Anrainer mehrheitlich für diesen Weg gewonnen werden können.

Zu ihnen zählen auch die vielen Frauen und Männer, die in den Randbezirken der Hauptstadt Felsbrocken mit Hämmern zu Schottersteinen zerkleinern. Das Material ist für den Straßenbau bestimmt. Bei John Bangura hingegen geht es beschaulicher zu: Der "Forester" widmet sich mit seinem Team der Aufzucht und Pflege von Setzlingen, die in der Baumschule nach Arten getrennt in Topfreihen angeordnet sind. Akazien, Avocado-, Orangen- und Zitronenpflanzlinge werden da ebenso kultiviert wie jene des Papaya- oder Mangobaums.

Wo heute Schottersteine geklopft und Jungbäume gezogen werden, stand noch vor 15 Jahren dichter Wald. "Die Bewohner, darunter viele Flüchtlinge, brauchten Feuerholz. Am Schluss war der Wald einfach weg", meint der Förster lakonisch. Obstbäume, die in der Pufferzone um den Naturwald gepflanzt werden, bleiben ihrer begehrten Früchte wegen unbehelligt. Deshalb setzt Bangura mit seinen Männern unermüdlich Jungpflanzen in den Boden der 50 Meter breiten Gürtelzone.

Erfolg bei Aufforstung

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Gut 300 Hektar wurden 2011 neu bepflanzt, im Folgejahr waren es 500 Hektar. Etwa 60 Prozent der Holzernte dienen als Brennholz, es stammt vor allem von Akazienarten. Einen Anteil von 30 Prozent machen Obstbäume aus, zehn Prozent der gepflanzten Bäume sollen als Blickfang die Grenze zum geschützten Wald markieren. Zu einem Naturwald, in dem es bis zum Einbruch der Dämmerung so unheimlich still ist, dass Graham Greene ihn "the dead forest" nannte.

Als die Rebellen Mitte der 1990er Jahre Freetown eroberten, suchten ganze Familien Zuflucht im Wald. Sie sammelten Brennholz und stellten Holzkohle her; tagsüber boten sie ihre Ware in den Wohnquartieren feil. Im schützenden Dickicht verbarg sich damals auch Doris Fatima Webber. Die Gründerin einer Nichtregierungsorganisation zur Stärkung der Frauenrechte unterrichtet heute in einer Berufsschule junge Frauen. "Im Wald habe ich Brennholz gesammelt, um es im Ort zu verkaufen, das waren jedes Mal fast zehn Kilometer Fußweg hin und zurück", erinnert sie sich.

Nicht wenige der Frauen, die sie heute unterrichtet, teilten als Kinder ihr Schicksal. "Es gab nichts zu essen, deshalb haben wir Holz gesammelt und verkauft", erzählt die 19-jährige Hawa, die sich hier zur Schneiderin ausbilden lässt. Die aufgeweckte Salematou (18) indes erinnert sich noch gut daran, wie sie als Kind Schottersteine klopfen musste. Sie möchte Köchin werden. Vielleicht wird sie später einen Stand betreiben und dort Mahlzeiten zubereiten.

Dieser Wald, in dessen feucht-schwülem Dickicht sich die Menschen einst versteckten, ist auch Lebensraum von über vier Dutzend Säugetier- und 320 Vogelarten; der überwiegende Teil davon kommt nur in Sierra Leone vor. Eine Schimpansen-Population ist im eingezäunten Schutzgebiet Tacugama heimisch, einem beliebten Ausflugsziel für Ökotouristen aus den Industrieländern.

Als der Wald zum geschützten Nationalpark erklärte wurde, bedeutete dies einen folgenreichen Einschnitt. Sich dem Gesetz zu fügen und den ressourcenreichen Naturwald aufzugeben, sei den Menschen nicht leichtgefallen, berichtet Victor Haffner, "Headman" (Ortsvorsteher) in der Gemeinde Kossoh Town. "Aber wir müssen die Natur bewahren, von dort kommt das Trinkwasser."

Nun setzt die Regierung verstärkt auf ein neu gegründetes Lernzentrum, das die Anrainer über die ökologische Bedeutung des Waldes aufklären soll. Auch im Schulunterricht ist der Umweltschutz besser verankert. Allerdings sind es weniger die Verarmten, die dem Nationalpark die gravierendsten Schäden zufügen; begüterte Zeitgenossen auf der Suche nach Villen-Bauland setzen dem Wald weitaus stärker zu.

Sie profitieren von einer juristischen Besonderheit der Westregion, die 1961 mit dem Hinterland als Sierra Leone unabhängig wurde. Nur dort kann Gelände offiziell gekauft werden. Über Korruption gelingt es ihnen, begehrte Lagen in unmittelbarer Parknähe zu erwerben - die störenden Bäume werden dann einfach in Brand gesteckt.

Rohstoffe & Tropenholz

Zudem gibt es in diesem Bereich Vorkommen von hochwertigem schwarzem Basalt und weiteren Rohstoffen. Ihrer Förderung steht der Wald buchstäblich im Wege. Wer bei den Brandstiftungen seine Hände im Spiel hat, lässt sich in den seltensten Fällen herausfinden. Hinlänglich bekannt ist allerdings, dass selbst Regierungsvertreter kräftig mitmischen.

Offiziell kümmern sich rund 40 "Foresters" um den Schutz des Waldes. Gegen die bestens bewaffneten und modern ausgerüsteten Holzdieb-Banden können sie aber nichts ausrichten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in den Naturwäldern weiterhin kräftig Tropenholz geschlagen und gesetzeswidrig außer Landes geschafft wird. Um diese Machenschaften zu bekämpfen, hatte die Regierung 2008 den Transport und die Ausfuhr von gesetzeswidrig geschlagenem Holz verboten. Da sich dieser Sektor kaum überwachen lässt, war dem Verbot kein großer Erfolg beschieden. Bis heute verliert die Staatskasse deswegen jährlich Dutzende Millionen US-Dollar an Einnahmen.

Vor einiger Zeit überreichte die Welthungerhilfe den "Foresters" Erste-Hilfe-Kästen und Macheten. Mehr kann und will die Organisation in dieser Hinsicht nicht leisten. "Wir wollen uns als westliches Hilfswerk keine Polizeivollmachten anmaßen", sagt Projektleiter Jochen Moninger; Chancen für einen besseren Schutz verspreche die Aufnahme des westlichen Waldes in die Unesco-Welterbeliste. Dadurch würde die Regierung vertraglich verpflichtet, für die Rettung des einzigartigen Regenwaldes einzustehen. Zwischenzeitig liegt der Nominierungsantrag beim Pariser Welterbekomitee. Mit einer Entscheidung ist frühestens im Sommer zu rechnen.

Thomas Veser, geboren 1957, lebt als Journalist in Konstanz. Mitglied der Schweizer Arbeitsgemeinschaft "Pressebüro Seegrund".