Künstler aus der Türkei in Österreich sehen sich nicht als Vermittler zwischen den Kulturen. | "Was ich interessant finde, das verarbeite ich." | Wien. Auf das "Fremde" konzentriert sich die türkisch-kurdische Künstlerin Songül Boyraz in ihrem Werk. Fremd ist dabei für sie alles, was neu und nicht vertraut ist. Was sie aber nicht darunter versteht, sind "unterschiedliche Nationalitäten".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Boyraz arbeitet mit Fotografie, Videos und Installationen. So hat sie 2009 mittels Videoinstallationen das Thema "Zwangsheirat" verarbeitet. Die Videos zeigten Interviews mit betroffenen jungen Frauen und wurden begleitet von einer Porträtserie der Befragten. Dabei sei ihr wichtig gewesen, "den Frauen ein gutes Gefühl zu geben, indem sie ernst genommen wurden."
Ursprünglich studierte Songül Boyraz Bildhauerei in Istanbul und Wien, wo sie seit mittlerweile 15 Jahren lebt. Sie beschäftigt sich immer mit dem Ort, an dem sie sich befindet. Ein Ortswechsel schlägt sich daher naturgemäß auch in ihrer Kunst nieder. Dabei geht es der Künstlerin vor allem darum, Situationen so authentisch wie möglich zu vermitteln, und ihre Gefühle und Eindrücke den Betrachtern nahezubringen.
Veränderungen erlebte auch der türkischstämmige Maler Nazim Ünal durch seinem Umzug von Istanbul nach Wien im Jahr 2005. Die Istanbuler Kunstszene legte den Schwerpunkt auf politische und soziale Auseinandersetzungen und verpönte die abstrakte Malerei. Seine Arbeiten seien "eher illustrativ" gewesen. An der Akademie der Bildenden Künste in Wien war er in der Klasse von Daniel Richter umgeben von "sehr unterschiedlichen Menschen, Alkoholikern, Drogenabhängigen, Sexisten". Dennoch habe er diese Gemeinschaft lieben und eine andere Wahrheit kennengelernt. Jetzt sei ihm der Spaß wichtiger geworden und er lege mehr Wert "auf malerische Dinge, wie einen erkennbaren Pinselstrich und freiere Farben."
Ein humoristischer Zugang in seinen Arbeiten wird etwa in seinem 150 mal 120 Zentimeter großen ikonographischen Selbstportrait in Öl mit dem Titel "Europa" deutlich, das 2007 entstand. Analog zu Sandro Botticellis "Geburt der Venus" sieht man den Künstler statt aus einer Jakobsmuschel, aus einer Bananenschale heraussteigen. Bloß mit einer weißen Unterhose gekleidet, hält er in der linken Hand eine EU-Flagge. Sein Blick ist dem Boden zugewandt, wo er von Gesträuch umgeben ist. Auf diese Weise macht sich Ünal "lustig über den Streit um den Türkeibeitritt und die inhaltslose kümmerliche Diskussion."
Unbewusste Vermittlung?
Durchaus kritisch setzt er sich also auch heute mit politischen und kulturübergreifenden Themen auseinander. Dennoch überlasse er es den Betrachtern, ob sie in seinem Werk interkulturelle Vermittlung sehen wollen, denn "grundsätzlich mache ich Kunst nur für mich". Wenn es um interkulturelle Vermittlung geht, müsse man zwischen "incoming" und "outgoing" unterscheiden, betont die Kunsthistorikerin Martina Pippal. Ersteres umfasse die Rezeption fremder Kulturen und finde "ständig überall statt. Vermittlung in eine andere Kultur hinein oder zwischen zwei Kulturen" sei weitaus schwieriger.
Mit ihrem Leitsatz "was ich interessant finde, das verarbeite ich" sieht sich auch Boyraz "höchstens unbewusst" als Vermittlerin zwischen den Kulturen. Auch bei ihrer Arbeit zu Zwangsheirat sei es ihr nicht um Vermittlung gegangen. Eher wollte die Künstlerin ihre eigene Perspektive in die damalige Diskussion einbinden. Keinesfalls sehe sie sich als Missionarin, da es schwierig sei, durch Kunst etwas zu verändern.
http://nazimunal.com/ und http://www.songulboyraz.com/