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Nazismus postmodern

Von Haimo L. Handl

Gastkommentare
Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.

Wie schnell sind heute Gutmenschen mit dem Rassismusvorwuf zur Stelle, wie vehement laufen Rufmordkampagnen im Netz ab!


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Immer mehr zeigt sich nazistisches Säuberungsdenken im Mantel sogenannter besorgter Demokratiebewegungen. Als politische reife Aktivierung aufrechter Bürger wird vermehrt nach Zensur und Verfolgung gerufen, werden polizeistaatliche Maßnahmen gefordert, werden Feinde "zum Abschuss" freigegeben. Kunst müsse politisch aktiv werden.

Das findet auch der polnische Künstler Artur Zmijewski, dessen Gaskammer-Tanzvideos aus einem ehemaligen KZ nicht in allen Museen gezeigt werden durften und der als Kurator der Kunstaktion der laufenden Berlin Biennale fungiert. In seinem Programm hat der Tscheche Martin Zet sein Kunstprojekt vorgestellt: "Deutschland schafft es ab", eine Sammelaktion von Thilo Sarrazins heftig kritisiertem Buch "Deutschland schafft sich ab". 60.000 Exemplare will Zet einsammeln und für eine Installation verwenden, nach deren Ende sollen die Bücher "recycled" werden.

Namhafte, von öffentlicher Hand subventionierte Kulturorganisationen beteiligen sich daran. Erst nach Kritik haben sich einige zu Distanzierungen und Absagen bequemt.

Bemerkenswert, mit welchen Euphemismen die Künstler und ihre Unterstützer operieren: "Recycling" statt des treffenderen Terminus "Entsorgung". Die Entsorgung ist eine Vernichtung, Recycling steht als gängiges Etikett für den modischen Begriff der "Transformation".

Interessant auch die Begründungen: Es gehe "um einen guten Zweck". Die Aktion diene dazu, "das Buch als aktives Werkzeug zu benutzen, das den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden".

So argumentierten die SA-Schergen und ihre begeisterten Helfershelfer und Mitläufer, Studenten und Professoren, bei den Bücherverbrennungen der Nazis. Auch damals ging es um missliebige Bücher, auch damals bezogen die Beteiligten eine Kulturposition, nutzten die Bücher als Werkzeug zu eben dieser Kulturtat der Vernichtung. Dem Sinn nach entspricht die geplante Berliner Entsorgung durch "Recycling" der Verbrennung. Der Rekurs auf politische Aktivierung und Kunst, sozusagen als besondere Qualität zivilgesellschaftlicher Reife, kann den faschistischen Kern der Säuberung, Reinigung, Purifizierung durch Vernichtung nicht verdecken.

Dieses gefährliche, politische, künstlerische Denken hat eine lange Tradition. In Zeiten der Orientierungsschwäche sehen allzu viele den "guten Zweck" als Legitimation für jede Aktion. Aber wenn der Zweck einmal jedes Mittel heiligt, schließt "alle" eben auch die inakzeptablen mit ein. Dagegen ist zu protestieren. Wie schnell sind heute Gutmenschen mit dem Rassismusvorwuf zur Stelle, wie zügig wird nach Kriterien politischer Korrektheit zensuriert, wie vehement laufen Rufmordkampagnen im Netz ab! Hinter den meisten dieser Aktionen steht ein schiefer Realismusbegriff für Kunst und Politik beziehungsweise für die Verbindung von Kunst mit Politik: Kunst als Politikersatz. Aber dieser Ersatz bleibt eben nicht Kunst, sondern wirkt, als Politik, vergiftend, verheerend, entsorgend. Schlussendlich tödlich. Wie schrieb doch Heinrich Heine: "Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."