Julia Friedrichs hat ein Buch über die faktische Abwesenheit der Erbschaftssteuer in Deutschland geschrieben.
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In Österreich wurde die Erbschaftssteuer 2008 gestrichen, in Deutschland ist ein Freibetrag von 400.000 Euro pro Erben steuerfrei, dann fängt die Besteuerung bei sieben Prozent an. Der höchste Steuersatz in Deutschland wären 30 Prozent für vererbtes Vermögen über 26 Millionen Euro. Ein Richter vom deutschen Bundesfinanzhof hat das einst eine "Dummensteuer" genannt, weil die in Deutschland nur die zahlen, die keinen Berater haben, der weiß, wie man sie umgeht. Großbritannien besteuert alle Nachlässe übrigens mit 40 Prozent. Warum in Deutschland das Erben nicht angetastet werden darf, hat die deutsche Journalistin Julia Friedrichs zu erforschen versucht und hat darüber ein Buch geschrieben. "Wir erben" ist im Berlinverlag erschienen.
"Wiener Zeitung":Was war das Überraschendste bei den Recherchen zu Ihrem Buch? Dass sich Erben mehr lohnt als Arbeiten, ist an sich ja nichts Neues.
Julia Friedrichs: Mich hat überrascht, dass viele Erben mit dem Geld anders umgegangen sind, als ich es erwartet hatte. In meinem Kopf bedeutete Erben, dass man frei ist, Geld hat, und damit machen kann, was man will. Das haben viele Erben aber ganz anders gesehen. Auch wenn man versucht ist zu sagen: "Gott, die Probleme möchte ich haben." Aber man darf die ernst nehmen. Viele quält der Gedanke, wieso sie es nicht aus eigener Kraft heraus geschafft haben. Warum haben meine Eltern so viel aufbauen können und ich verfresse, ich verbrauche es jetzt. Vor allem, wenn es ums Wohnen geht: Da hat man die Immobilie im Eigentum und die Freunde wissen nicht, wie sie die Miete zahlen sollen. Zusätzlich kommt natürlich auch familiärer Druck mit dem Erbe, eine gewisse Haltung der Eltern, bei Kindern Entscheidungen mitzutreffen.
Die Geschichte, nehmen wir nur die Feudalherrschaften in Europa, zeigt, dass das Akkumulieren von Vermögen durch Erbe Tradition hat. Gab es jemals eine Periode, in der Erben nicht so ausschlaggebend war wie heute?
Geerbt hat man natürlich immer, aber man kann sagen, dass - zumindest in Deutschland - das Erben von den Nachkriegsjahren an bis Ende der 1980er Jahre eine weitaus geringere Rolle gespielt hat. Für die breite Masse war Erben kein Thema. Das liegt einerseits am Tabula-Rasa-Effekt des Zweiten Weltkriegs, andererseits an den hohen Löhnen in den 70er Jahren, verbunden mit einer Hochzinsphase, und natürlich auch der Tatsache, dass die Geburtenzahl geringer ist. Früher wurde mehr diffundiert, heute läuft es trichterförmig zusammen.
Man sagt, dass meine Generation - die in den 70ern und 80ern Geborenen -, dass wir nach mehr als hundert Jahren die erste Erben-Generation sind. Also die erste Generation, bei der die Mehrheit der Leute Reichtum aus Erbschaften hat und nur die Minderheit Reichtum aus eigener Arbeit.
Kann man diesen Effekt weltweit feststellen?
Angelsächsische Länder haben da eine andere Tradition. Da wird eher das Prinzip betont: "Jeder soll seines Glückes Schmied sein." Großbritannien hat etwa noch immer eine Nachlasssteuer von 40 Prozent. Diese Zahl würde in Deutschland zu revolutionsartigen Zuständen führen.
Können Sie sich das erklären? In Österreich ist das ähnlich, und das sind Länder, denen es vergleichsweise wirtschaftlich sehr gut geht, man muss also keine Angst vorm existenziellen Abgrund haben.
Es ist ein extrem interessantes Phänomen, über das ich mit den steuerpolitischen Sprechern der Fraktionen gesprochen habe, die teilweise selber daran verzweifeln. Rein rational muss man sagen, dass in Deutschland ungefähr ein Drittel der Menschen "signifikant" erbt - also so viel, dass es dem Leben eine Wendung gibt, und Steuern überhaupt ein Thema wäre. Das bedeutet im Umkehrschluss, 70 Prozent erben nicht in diesem Ausmaß. Also widersprechen 70 Prozent ihrem eigenen Interesse, wenn sie gegen eine Erbschaftssteuer sind.
Aber warum?
Es gibt da mehrere Erklärversuche. Das eine ist, dass Deutschland - und Österreich wahrscheinlich auch - ein Land ist, das sehr strukturkonservativ ist. Da wird die Familie immer noch als tragendes Element der Gesellschaft gesehen. Und viele sagen, wenn innerhalb der Familie vererbt wird, ist es eine private, intime Angelegenheit; da hat der Staat nichts zu suchen. In den USA und Frankreich geht man komplett anders mit Erbschaften um, da wird gesagt, das ist im Prinzip ein Einkommen wie jedes andere. In Deutschland wird gesagt: "Nee, das ist privat, das ist intim", es findet ja kein Vermögenstransfer statt: Es bleibt ja in der Familie. Zudem kommt, dass die Menschen in Deutschland extrem auf Einkommensungleichheit fokussiert sind, die Vermögensungleichheit, die meines Erachtens viel gravierender ist, gar nicht so wahrnehmen. Weil man hat da kein Gefühl dafür, wie reich tatsächlich so Erben sind. Bei Einkommen regen sich die Leute auf und sagen: "Oh, der verdient eine Million im Jahr", und sind ganz zufrieden, wenn ihm ein Teil über die Steuer weggenommen wird, bei Vermögen haben die meisten keinen Bezug dazu. Dass es nicht nur um Eigenleistung geht, sondern vererbtes Geld teilweise selbst ererbt wurde, ist bei vielen nicht angekommen. So kommt es zu der wirklich verqueren Situation, dass Leute zwar eine Vermögenssteuer wollen, und hohe Einkommen hoch besteuern wollen, aber eine breite Mehrheit gegen jede Form der Erbschaftsteuer ist.
Dabei will die Mehrheit eine Verringerung der Ungleichheiten.
Ja, in Deutschland beklagen sich laut Umfragen alle, dass die Schere aufgeht, dass das Land immer ungleicher wird. Es ist schon komisch, dass dann diese konkrete Maßnahme so abgelehnt wird. Aber man muss sagen, dass es in Deutschland keine politische Kraft gibt, die Werbung für Erbschaftssteuer macht, weil man weiß, man kann mit dem Thema nichts gewinnen. Das werfe ich der Politik vor. Wenn wir gegen Vermögensungleichgewichte ankämpfen wollen, haben wir nicht viele Instrumente. Wenn Erbschaften besteuert werden, könnte man Arbeit entlasten. Dann käme mehr Bewegung ins System, die Vermögensverhältnisse wären nicht so zementiert, wie sie sind.
Spielt es eine Rolle, dass Deutschland und Österreich Weltmeister des Understatements bei Kleidung und anderen sichtbaren Reichtum-Insignien sind?
Das hat dazu beigetragen, dass man nicht wusste, wie reich die Menschen sind. Allerdings hat die Zeigefreudigkeit in Deutschland zugenommen. Die Zahl von Privatschulen nimmt zu, der Luxusmarkt boomt extrem. Die Reichen in Deutschland werden internationaler und denken sich: "Ach, jetzt zeigen wir es auch, was wir haben." Natürlich längst nicht so wie in anderen Ländern, aber das komplette Understatement in Deutschland lässt nach.
Ab wann hat das Erbe die "signifikante", lebensverändernde Größe?
Da ist man in der Wissenschaft uneins: Beeinflusst eine Erbschaft von einer oder von zwei Millionen das Leben drastisch? Ich bin bei denen, die sagen, man kann es schon bei 500.000 Euro ansetzen, da kann sich schon Wohneigentum leisten, und dann ist man mietfrei. Noch signifikanter wird das Erbe natürlich, wenn man sich aus den Kapitalerträgen sein Leben finanzieren kann. Da ist man eher bei fünf Millionen.
Sie lassen in Ihrem Buch Personen zu Wort kommen, die zugeben, sie würden sich ihr Leben in der Kreativwirtschaft nicht trauen, wenn sie nicht abgesichert wären . . .
Ja, das fällt schon auf: In den Branchen, die im weiteren Sinn kreativ, gestalterisch sind, ist die Erbendichte unverhältnismäßig hoch. Das hat natürlich Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft, wenn man sich fragt: "Kann ich mir solche Berufe leisten oder nicht?" Im Journalismus ist es ein Prozess, der seit zehn, fünfzehn Jahren läuft, dass die Honorare sinken und man sich die Arbeit für hochwertige Zeitungen leisten können muss. Ich habe Freunde, die 40 sind und die das nur machen können, weil ihre Eltern jeden Monat 1000 Euro zubuttern. Die Frage ist, ob man will, dass eine Gesellschaft so organisiert ist - nämlich, dass gewisse Betätigungsfelder Hobbies für Kinder aus gutem Hause sind. Wenn man das nicht will, muss man sich dafür einsetzen, dass da die Löhne steigen, damit alle davon leben können.
Julia Friedrichs (*1978) hat mit "Wir erben" ein überraschend spannendes Buch über die familiäre Weitergabe von Geld in Deutschland geschrieben. Sie war auf Einladung des Kreisky Forums in Wien.