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Negativzinsen als (temporärer) Solidarbeitrag?

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Wirtschafts- und Sozialanalytiker und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozial-politische Themen spezialisiert.
© privat

Die Europäische Zentralbank, die Geschäftsbanken und die Rolle des Zinsniveaus für die Staatsfinanzierung.


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Banken und Sparkassen in Europa können sich bei ihrer nationalen Notenbank oder über das System der Europäischen Zentralbank (EZB) refinanzieren. Auf diese Weise stehen Zahlungsmittel für unternehmerische Investitionen aber auch private Ausgaben und Investitionen wie Konsum oder den Kauf einer Immobilie zur Verfügung. Kreditinstitute sollen ihre Refinanzierungsvorteile an die Kreditkunden weitergeben, um Investitionen anzuregen. In ähnlicher Weise verfahren sie bei den Konditionen der Zentralbank bei Bankeinlagen. Ab einer bestimmten Höhe berechnen in Österreich, noch zahlreicher in Deutschland, Kreditinstitute eine Art Verwahrentgelt, zumeist ab der Höchstgrenze der Einlagensicherung von 100.000 Euro. Negativzinsen bei Spareinlagen sind nicht zulässig, wie der Oberste Gerichtshofs im Jahr 2009 festgestellt hat.

Indem sich die Geschäftsbanken an den Vorgaben der EZB orientieren, ist deren Rolle einem Marktpfleger in Bezug auf die Kredit- und Einlagenkonditionen ähnlich. Aufgrund ihres für den Euro gültigen - aber von privaten Initiativen und digitalen Alternativen bereits bedrängten - Geldausgabemonopols bestimmt die Zinspolitik der EZB maßgeblich die Kosten für die Staatsverschuldung, und dies seit der Finanzmarktkrise zu historisch niedrigen Zinssätzen.

Der Verfasser dieser Zeilen räumt ein, dass er vor der Komplexität des globalen Finanzsystems mit internationalen Zahlungen in verschiedenen Währungen und der Verschuldung von Staaten angesichts der Frage, wer das alles nur zurückzahlen soll, kapituliert. Er möchte auch nicht darüber nachdenken, was eine geordnete Staatsinsolvenz oder Inflation bedeuten könnte oder gar die freundliche Übernahme der politischen Einflussmöglichkeiten durch Ausbuchung oder teilweisen Erlass der Schulden der Staaten durch ihre Gläubiger.

Nur auf ein kleines Detail möchte dieser Text aufmerksam machen: Über die EZB, aber auch über das Geschäftsbankensystem wurde ein großer Teil der Staatsverschuldung finanziert. Für die Banken besteht die Gefahr, dass sich Sparerinnen und Sparer angesichts der Null- und Negativzinspolitik anderen, attraktiveren - kapitalmarktorientierten - Angeboten zum Beispiel über sogenannte Green Bonds oder Social Investments in Aktien nachhaltiger Unternehmen zuwenden. Mit den Einlagen ihrer Kunden verlieren die Kreditinstitute jedoch ihre Basis für die Vergabe von Krediten. Die Kunden wiederum gehen mit solchen Kapitalmarktprodukten ein oft höheres Kursschwankungsrisiko ein.

Die jetzt berechneten Negativzinsen könnte man als Ausgleich für die zurückgegangene Marge aus dem Einlagen- und Kreditgeschäft und für mögliche Probleme aus einem Zinsänderungsrisiko interpretieren, falls das Zinsniveau bei vor allem langfristigen Wohnbaukrediten nicht bei der Refinanzierung abgesichert wurde. Negativzinsen wirken bei Kreditinstituten wie ein Solidarbeitrag zur (weiteren) Verbesserung der Ertragslage der Kreditinstitute und der EZB. Sie erhalten damit auch unsere Gläubiger, nämlich jene der Staaten.