Die ÖVP weiß, dass sie den Bruch mit Kurz symbolisch inszenieren muss, doch genau das fällt ihr schwer.
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Der Bundespräsident hat der Politik die Leviten gelesen. Und dafür drastische Sprachbilder verwendet, von einem Generalsanierungsbedarf war die Rede, um nicht die "Substanz unserer Demokratie" zu gefährden. Und Alexander Van der Bellen weiter in Richtung ÖVP: "Wenn auch nur der Eindruck entsteht, Politiker handelten zum Vorteil der eigenen Seilschaft, der eigenen sogenannten Verbündeten (. . .) auf Kosten der Gemeinschaft, dann muss es im größten Interesse des Bundeskanzlers und der verantwortlichen Regierungsmitglieder sein, diesen Eindruck zu entkräften."
Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass dieser Eindruck bei vielen in Österreich besteht. Nicht erst seit gestern. Diesbezüglich erntet "die Politik", was sie über Jahrzehnte gesät hat. Dafür trägt die ÖVP nicht allein die Verantwortung dafür, auch FPÖ und SPÖ haben ihren Beitrag geleistet. Was die Kanzlerpartei ins Zentrum rückt, ist die einmalige Möglichkeit, die Macht beim Machtmissbrauch beobachten zu können - inklusive kindlich-pubertärer Verhaltensmuster.
Was sind nun die Optionen der ÖVP, ihr Ansehen zu retten und zu erneuern? Gemeinhin flüchten sich Parteien in eine Rhetorik der Reue und Umkehr, vermeiden aber konkretes Handeln. Öffentliche Selbstgeißelungen sind in einer Ära minimierter Aufmerksamkeitsspannen optimal, weil billig. Zu oft reicht die Inszenierung anstelle konkreter Taten.
Das trifft in der Regel auch auf die ÖVP zu, allerdings nicht in diesem Fall. Eine klare, unmissverständliche Distanzierung von Sebastian Kurz und dem prägenden Personal dieser Jahre fällt Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer deshalb so schwer, weil nicht nur er selbst, sondern zentrale Akteure der Partei auf die eine oder andere Weise mit Kurz verbunden sind; hinzu kommt ein ausgeprägter Widerwille etlicher kleiner Funktionärinnen und Funktionäre, diese beispiellos erfolgsverwöhnten Jahre als Verirrung zu erkennen.
Wäre Kurz bloß ein x-beliebiger Obmann in der langen Geschichte der ÖVP gewesen, der mit ein bisschen Glück ein bisschen Erfolg gehabt hätte, dann wäre der Bruch kein Problem. Doch Kurz hat die ÖVP im Sturm erobert und diese im Kern nüchtern-pragmatische und machtorientierte Partei in einem Ausmaß emotionalisiert, wie es vorher kaum vorstellbar schien.
Diese Bindung lässt sich nicht von oben herab beenden. Leichter ist es für Nehammer, durch konkrete Politik den Bruch mit Kurz herbeizuführen. Ob der Kanzler und sein Team dazu Wille und Autorität aufbringen werden, ist eine andere Frage.