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Nein, Verdrängen ist keine Sicherheitspolitik

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Dank Putins Neoimperialismus wird Europa unsicherer. Österreich ignoriert das eher nonchalant.


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Im militärischen Establishment Deutschlands haben sie die Uhren heuer schon im Laufe des Sommers auf Winterzeit umgestellt. Entstaubt und auf den neuesten Stand gebracht wurden nämlich jene Akten und Operationspläne, die man nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr zu benötigen glaubte und in denen es darum geht, wie die Bundeswehr auf eine militärische Attacke aus dem Osten reagieren würde. Angesichts des offensichtlichen Endes des Tauwetters zwischen Russland und dem Westen kehrt Deutschlands militärisch nun wieder ein Stück in den Wintermodus der Jahre vor 1990 zurück, als Moskau als mit Abstand gefährlichste Bedrohung galt.

Es ist dies ein nicht nur deutscher Paradigmenwechsel, der da angesichts des russischen Neo-Imperialismus notwendig wird. Parallel dazu kehrt auch die ganze Nato, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zu einer Art transnationalen Sicherheitsagentur mutiert, wieder mehr zu ihrer ursprünglichen Funktion zurück: die territoriale Souveränität des westlichen Bündnisses mit militärischer Macht zu beschützen. Und selbst außerhalb der Nato hat Putins Streben nach einer Ausdehnung der russischen Hegemonial-Sphäre zu radikalem Umdenken geführt: Ende Oktober war erstmals seit 1945 eine Mehrheit der Bevölkerung Schwedens für einen Beitritt zum westlichen Militärbündnis.

All das ist nicht leichtfertige Kriegstreiberei, sondern verantwortungsvolle Politik. Denn auch wenn ein Vorstoß russischer Panzer in Richtung Rhein aus heutiger Sicht nicht eben wahrscheinlich erscheinen mag, so verantwortungslos wäre es, einfach nur zu hoffen, dass das auch ad infinitum so bleibt.

In Österreich freilich scheint diese neue Bedrohungslage von den politischen Eliten noch nicht wirklich zur Kenntnis genommen worden zu sein, ganz im Gegenteil: Indem billigend hingenommen wird, dass Österreichs Bundesheer die ihm von der Verfassung vorgeschriebene Aufgabe, die territoriale Unversehrtheit der Republik zu gewährleisten, de facto nicht mehr wahrnehmen kann, zeigen die dafür Verantwortlichen ein bemerkenswertes Maß an Nonchalance. Während Europa widerstrebend, aber doch auf die von Moskau geschaffenen militärischen Fakten reagiert, regiert in Wien unausgesprochen das traditionelle Prinzip Hoffnung: Wird schon nix g’schehen.

Man kann das als kostenoptimierenden Optimismus in der Tradition des "Lieben Augustin" schätzen - oder aber auch humorlos als verantwortungsloses Hasardieren missbilligen. Angesichts der Tatsache, dass die Grenze der in einen militärischen Konflikt mit Russland verwickelten Ukraine von Wien ungefähr so weit entfernt ist wie der Bodensee, spricht nicht wenig für letztere Vermutung.

Mehr als fällig ist daher eine Neubewertung der strategischen Position Österreichs angesichts der Entwicklung im Osten, sind aber vor allem auch die daraus resultierenden Konsequenzen für die Sicherheitsarchitektur Österreichs.

Populär wird keine dieser Konsequenzen sein, eine teure Grundsanierung des Bundesheeres nicht und ein allfälliger Beitritt zur Nato schon gar nicht. Aber Politik, die dermaßen existenzielle Entscheidungen nicht nach ihrer Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit, sondern nach demoskopischen Befunden ausrichtet, beraubt sich jeglicher Legitimation.