Die Bevölkerung in der Migrationskrise einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist keine schlaue Idee.
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Die Gemeinde Neudörfl im Burgenland gilt als einer jener Orte, in denen es relativ gut gelungen ist, eine erhebliche Zahl von Migranten ohne nennenswerte Probleme aufzunehmen. Der politisch erfolgreiche SPÖ-Bürgermeister Dieter Posch meinte dazu im "Standard": "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Vielfalt nun einmal da ist, in Gestalt zahlreicher anders aussehender, vorläufig anders redender und auch andersdenkender Menschen." Es gehe "nur noch darum, wie man diese neue Situation managt". Nicht wenige Politiker, Medienleute oder andere öffentliche Akteure sehen das wohl genauso.
Es sind freilich gerade so harmlos klingende Formulierengen wie diese, die nicht wenige Menschen im Lande ins Lager der Wutbürger treiben. Dass die Migranten "nun einmal da sind", mag rein physisch zutreffen. Gleichzeitig unterstellt er damit aber irgendwie, dass ihre Anwesenheit einer Art höherer Gewalt geschuldet sei. Ist sie aber nicht, sondern nicht nur, aber auch Folge eines politischen Versagens der deutschen Kanzlerin und des damaligen österreichischen Kanzlers im Herbst 2015. Jetzt gleichsam zu meinen, die Leute seien nun einmal hier, Schwamm drüber, ist ein semantisch nicht ungeschickter Versuch, die politische Verantwortung für das Geschehene unauffällig zu entsorgen. Es ist quasi die österreichische Version der Merkel’schen "Alternativlosigkeit" - und genauso falsch wie diese. Dass viele Wähler eine solche Verantwortungsentsorgung eher nicht goutieren, kann jeder halbwegs seriösen Umfrage entnommen werden.
Genauso problematisch erscheint der Satz: "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Vielfalt nun einmal da ist, in Gestalt zahlreicher anders aussehender, vorläufig anders redender und auch andersdenkender Menschen." Erstens "müssen" wir, auch wenn dies viele Politiker anders sehen, überhaupt nichts. Zweitens gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Bürgern, die nicht die geringste Lust verspüren, sich daran "zu gewöhnen", dass "andersdenkend" in der Praxis oft heißt, "anders" über Frauen, Juden oder Schwule zu denken: nämlich verächtlich, abwertend und diskriminierend, wie es in den Herkunftsländern vieler Migranten üblich ist.
Mag sein, dass der Bürgermeister damit kein Problem hat. Aber recht viele andere Menschen haben dieses Problem, und es ist ihr gutes Recht. Mit der Forderung, was diese Menschen "denken müssen", wird dieses Problem aber nicht zum Verschwinden zu bringen sein.
Und nein, es geht auch nicht "nur noch darum, wie man diese neue Situation managt". Es geht, jedenfalls in der Vorstellung eines erheblichen Teils der Bevölkerung, auch darum, wie man diese Situation so verändert, dass sie nicht "gemanagt" werden muss. Es geht nämlich nicht nur darum, alle, die da sind, aus welchem Grund und vor allem mit welchem Recht auch immer, einfach zu verwalten ("managen"). Es geht auch darum, möglichst viele von denen, die kein Recht auf einen Aufenthalt in Österreich haben, möglichst zeitnah in ihre Heimat oder ein anderes sicheres Land zu bringen. Selbst der scheidende Flüchtlingskoordinator Christian Konrad beklagte, dass die Abschiebungen zu langsam vorankämen.
Auch daran müssen wir uns nicht gewöhnen.