Viktor Orbáns demonstrative Nähe zum russischen Präsidenten kommt bei immer mehr Ungarn nicht gut an.
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Budapest/Wien. Über Jahre begegneten Kritiker der Politik Viktor Orbáns seit 2010, indem sie Ungarn verließen. Zu Hause herrschte Apathie, auch aufgrund der zersplitterten und desaströsen Opposition. Nur vereinzelt kochte die Wut über, etwa 2014, als die Regierung eine Steuer auf Datenverkehr im Internet einführen wollte. Zehntausende Bürger gingen auf die Straße. Orbán zog daraufhin sein Vorhaben zurück, die Proteste endeten sogleich.
Seit einigen Wochen reißen die Demonstrationen aber nicht ab; Orbáns Kampagnen gegen die Central European University, deren Mäzen George Soros und für eine neue "Konsultation" zur Politik gegenüber der EU bringen die Bürger auf die Straße. Erst am Montagabend demonstrierten Tausende unter dem Motto "Wir gehören zu Europa". Ausgerüstet mit EU-Flaggen gaben sie ein Plädoyer für die liberale Demokratie ab und gegen Orbáns Nähe zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Die Kundgebung vom Montag wurde von der neuen Bewegung "Momentum" organisiert. Diese entstand aus einem erfolgreichen Protest Hunderttausender gegen eines von Orbáns Lieblingsprojekten. Der Premier musste die Bewerbung Budapests als Kandidatenstadt für die Olympischen Sommerspiele 2024 daraufhin fallenlassen.
Auch die Satirepartei "Zweischwänziger Hund" mobilisiert erfolgreich gegen Orbán, vor allem in den sozialen Netzwerken. Vor knapp zwei Wochen nahm sie die Verbindungen zwischen Orbán und Putin aufs Korn und rief zur Demonstration "Wir stehen zur Regierung und zu Russland und protestieren gegen alles andere" auf. Tausende kamen auch zu dieser Kundgebung in Budapest, ein Transparent lautete in Anspielung auf den Konflikt mit der Universität: "Kauft nicht bei der CEU!"
In Solidarität mit der Forschungseinrichtung versammelten sich Anfang April sogar mehr als 70.000 Bürger auf Budapest Straßen. Die anti-westliche Propaganda, die Staatssender und private Medien verbreiten, die Orbán nahestehenden Oligarchen gehören, findet wenig Gehör. Laut einer Umfrage des Instituts Publicus für "Vasárnapi Hírek" halten 42 Prozent der Ungarn Russland für eine Gefahr. Auf der anderen Seite vertrauen knapp 70 Prozent der EU und den USA, streicht die Osteuropahistorikerin Eva Balogh in ihrem Orbán-kritischen Blog heraus. Auch antwortete im April mehr als ein Viertel auf die Frage, wem die ungarische Außenpolitik am meisten diene, mit Russland.
War Orbán in seiner ersten Amtszeit von 1998 bis 2002 klar antirussisch, änderte er den Kurs seit 2010 vollends. Ungarns Premier wettert gegen die EU-Sanktionen infolge der Krim-Annexion. Orbán befürwortet vehement den Bau von zwei neuen Reaktoren im AKW Paks durch den russischen Konzern Rosatom. Putin stellte im Februar bei seiner Budapest-Visite in Aussicht, dass russische Banken die gesamten Investitionskosten als Kredit gewähren. Damit liefert sich Ungarn nicht nur energiepolitisch Russland aus.
Orbán werde von Putin erpresst, unkt Ferenc Gyurcsány. Beweise liefert er dafür aber nicht. Gyurcsány symbolisiert vielmehr das Problem in Ungarns Opposition: Dessen desaströse Bilanz als Premier (2004 bis 2009) ist mitverantwortlich für Orbáns Aufstieg.