Das würde Österreich gerade noch fehlen: Eine Sicherheitsdebatte, deren Ausgang nicht von Regierung und Parlament, sondern von Massenmedien bestimmt wird.
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Das Bundesheer liegt im Sterbebett, die Koalition bastelt an einer neuen Sicherheitsdoktrin, und Massenmedien schreiben das Ende des Präsenzdienstes herbei. Wer von den dreien erreicht sein Ziel als Erster?
Auch wenn politische Vorhaben richtig sind, kommt in Österreich oft das Gegenteil heraus. Außenminister Michael Spindelegger und Verteidigungsminister Norbert Darabos haben sich verständigt, dass die "Sicherheitsdoktrin" aus dem Jahr 2001 überholungsbedürftig sei. Man will die Auslandseinsätze ins Rampenlicht stellen, die das Bundesheer seit 50 Jahren zwischen Balkan, Golan-Höhen und Kongo bravourös absolviert. Der neue Text soll weniger über die militärische Verteidigung Österreichs aussagen und noch weniger über das westliche Verteidigungsbündnis Nato.
2001 war ein Nato-Beitritt Österreichs noch als "Option" erwähnt worden, aber schon damals schwor Österreich lieber auf die Neutralität, selbst wenn diese in Europa kaum operative Möglichkeiten eröffnet, es sei denn, man rechnet den Austausch von Spionen auf dem Wiener Flugplatz in die Erfolgsbilanz hinein.
Schon liegen Umfragen auf dem Tisch. Laut "profil" sollen 48 Prozent der Befragten gegen die Wehrpflicht sein, laut der Zeitung "Österreich", die gern größere Zahlen verkündet, sogar 52 Prozent. 83 Prozent würden die Einführung eines verpflichtenden Sozialdienstes begrüßen, falls der Präsenzdienst der modernen Zeit zum Opfer fiele.
Da eröffnet sich eine Palette für politische Kreativität jeglicher Art, und prompt meldete sich der Grüne Peter Pilz mit der Idee eines Volksbegehrens gegen die Wehrpflicht, zumal die modernen Sicherheitsaufgaben immer mehr mit ökologischen Fragen, Bevölkerungswachstum, Armut und kulturellen Konflikten zusammenhingen. Das sind schöne Soft-Themen, wobei freilich eine Kernwahrheit unter den Tisch fällt: Österreich braucht sich vor allem deshalb nicht militärisch zu verteidigen, weil es in das militärische Sicherheitssystem der EU im Verbund mit der Nato eingebettet ist. Mit verschränkten Armen darauf zu warten, dass die anderen im Ernstfall aufmarschieren, zeugt gewiss nicht von Charakter.
Die Würfel fallen zwar noch nicht, sie kollern aber schon. Die "Krone" titelte am Sonntag: "Volksbegehren gegen Wehrpflicht." Das klingt wie die Generalprobe für eine Herbstkampagne, nachdem aus der Volksabstimmung über den EU-Vertrag von Lissabon nichts geworden ist. Eine "Krone"-Kampagne Seite an Seite mit den Grünen gegen die Wehrpflichtposition von Bundespräsident und Regierung? An solchen Kleinigkeiten hat sich das größte Massenblatt des Landes noch nie gestoßen, sobald es um populistische Forderungen ging.
Eine solide Debatte um das, was Österreich zu seiner Sicherheit braucht, wie das Bundesheer in dem Zusammenhang aussehen soll und was es leisten muss, kündigt sich unter diesen Voraussetzungen nicht an. Die Politiker werden schauen müssen, dass sie nicht zum zweiten Mal unter die Räder eines seltsamen, weil medial gepuschten "Volkswillens" geraten. Im Komplex steckt nämlich auch noch ein delikater parteipolitischer Aspekt: Die alte Sicherheitsdoktrin stammt von den Schwarz-Blauen. Die SPÖ hat große Lust, dem Werk nun selbst ihren Stempel aufzudrücken, und braucht möglicherweise Bündnispartner.
Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".