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Nennt man das Heimweh?

Von Elke Papp

Reflexionen

In Zeiten der europäischen Freizügigkeit lässt es sich in einem Land so gut zu leben wie in einem anderen. Oder doch nicht? Zur Weihnachtszeit jedenfalls werden selbst zeitgemäße Nomaden leicht sentimental.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Gonna take a sentimental journey, gonna set my heart at ease . . . einmal im Jahr fahren wir alle dorthin, von wo wir vor Jahren, Jahrzehnten weggegangen sind. Viele Jahre lang schlossen wir als Studentinnen oder Studenten die Tür unserer kleinen Wohnung hinter uns und setzten uns in einen der überfüllten Züge quer durch unser Land. Seit Jahren, Jahrzehnten zieht uns die Zeremonie dort hin. Einmal im Jahr.

Zwiespältige Zeremonie

Es ist nicht gesagt, dass wir unser Herz dort erleichtern, wo sie uns hinzieht, die Zeremonie. "Zwang", sagten wir lange ganz salopp dazu, das Gesicht dabei zwanghaft verziehend. To renew old memories. Meist mehr als ein Jahrzehnt später, wenn wir uns nicht schon vorher verweigert haben, haben wir uns endlich das Recht er-lebt, dort zu bleiben, wo wir Wurzeln geschlagen und uns fortgepflanzt haben. Wir haben uns vielleicht sogar die Euros verdient, um sie auf einer fernen Insel ohne jede Zeremonie auszugeben.

Wenn uns aber doch nach Zeremonie ist? Zwang? Wir sind uns gar nicht mehr so sicher, und ist unser Gesicht nicht gar verzückt? So schmücken wir eben unsere kleinen Inseln der Seligkeit. Kling, Glöckchen, klingelingeling. Dieses Jahr ist es soweit. Nur wir vier und der Christbaum. Auf der Insel der Sandwiches. Wir lassen keinen Father Christmas beim Schornstein herein. Vielleicht fliegen ein paar Engel um uns und die Bengel herum. All unsere Freunde in der Fremde sind aus der Fremde weggeflogen, dorthin, wo sie ihr Herz erleichtern und ihre Koffer (wenn es nur bags wären!) schwerer machen wollen.

Glücklich die, die per Auto und Fähre oder gar durch den Tunnel auf den Kontinent fahren können, um zwei Wochen später mit kontinentalen Köstlichkeiten (inklusive Krimskrams und billigen Zigaretten) beladen auf die Insel zurückzukommen. Dort sind sie Menschen. Dort kaufen sie ein. Als wären sie hier in einem Entwicklungsland fern von Europa. Wer wollte denn jetzt noch europhorisch sein. Hallelujah!

We Continental, we European, so beginnen unsere Beschwerden über uns Befremdendes. Und davon gibt es mehr als wir dachten. (das Wetter, "jaja das Wetter, aber auch bei uns keine Sommer mehr!", kontern die Besucher vom Kontinent auf unsere Klagen). Wir, die ans Wohnen in Wohnungen Gewohnten, die nun alle in unserem kleinen Häuschen wohnend (beileibe kein castle!) - unser Herz an dem zerbrechend, was uns Festländern fehlt: Berge und Brot.

Daheim ist es besser

Nichts ist uns fest genug auf der Insel. Die Fenster, die Freundschaften. Nur der Glaube, dass dort alles besser ist, wo wir weggegangen sind, wird immer fester. Wir, einmal fortgehgläubig gewesen, im Nu und plötzlich mit größter Wendigkeit (nach einem Jahrzehnt Kaffeehaus-Sesshaftigkeit) den Notwendigkeiten der Natur- Kultur- oder sonstiger Wissenschaften folgend oder den diesen Notwendigkeiten Folgenden folgend.

© Cartoon: Jugoslav Vlahovic

Wo das Geld ist, sind auch wir. Um Auslandsaustauscherfahrungen geht es längst nicht mehr. Austauschbar sind wir alle geworden (vielleicht immer gewesen schon) . . . Gonna take a sentimental journey . . . Längst sind sie alle aufgebrochen die (nahezu ausnahmslos deutsch seienden) Freunde und die Bekannten (aus nahezu allen Ländern), hin zu den höllischen Billigflughallen waiting up for heaven counting every mile auf ihrer Tour d’Europe wie der holländische husband der Französin sagt, sein Gelehrten-Gelächter bar jeder wild anticipation.

Zynismus ist in uns eingezogen und zieht mit uns mit, wohin wir auch weiter ziehen. Derweilen wird es dumper, derweilen wird es Nacht.

Die kalte Inselluft

Unsere Nachbarn, fünf Stück an der Zahl - wen werden sie in der Heiligen Nacht zu sich lassen oder sind sie längst Insulaner geworden und füllen die Socken? Wahrscheinlich treffen sie Freunde aus ihrem Land, die alle schon seit Jahren nicht mehr dort hin geflogen sind. Zu viele Kinder, für die es zu viele Flugmeilen zu bezahlen gäbe und wer weiß, vielleicht fingen sie dort auch plötzlich an, am Fortgehen zu zweifeln. Why did I decide to roam?

Und wir vier, uns dieses Jahr nicht mit der akademischen Mobilgesellschaft mit Bewegenden? Inhalieren wir doch die Inselluft (lassen wir sie bei den Fenstern herein ziehen!), wenn die Festländer alle weggeflogen sind aus diesem über 800 Jahre alten Natur- Kultur- und sonstigen Wissenschaftsnest und lernen wir endlich die Inselsprache, die sich zur Weltsprache erhoben hat, da waren wir noch lange nicht auf der Welt und Doris Day noch jung und yearny. Bevor der neue Vertrag hoffentlich wieder in der Tür steht (und uns fragt, ob wir auch wirklich brav gearbeitet haben das ganze Jahr) und wir unser Leben wieder weiter transportieren. Lange noch nicht home. Merry Christmas allen Insel- und Festlandbewohnern und -bewoherinnen!

Elke Papp, geboren 1973 in Linz, ist Autorin und Performancekünstlerin. Nach Jahren in Wien, Leipzig und Cambridge lebt sie in Southampton. Sie arbeitet am Kunstprojekt "follow the fellow". www.followthefellow.wordpress.com.