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Neokoloniale Verstrickungen im Südsudan

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.

Die ausländischen Regierungen und die UNO ernten die Früchte für die Gründung eines Staates, der zu zerfallen droht.


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Seit mehr als zwei Jahren ist der Südsudan nun unabhängig, und dennoch fühlt man sich wegen der aktuellen Konflikte an die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückversetzt. Damals war Afrika in Nationalstaaten unterteilt, die europäische Kolonialmächte erschufen und beanspruchten. Im Sudan unterschied man zwischen einem nördlichen und einem südlichen Territorium, wobei die Grenze äußerst vage gezogen wurde. Nach der Unabhängigkeit 1956 gab es laufend Bestrebungen im wirtschaftlich benachteiligten und ethnisch heterogenen Süden, sich vom arabisch dominierten Norden loszulösen.

1978, als der US-Konzern Chevron im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan Öl fand, begann sich der Westen wieder für die Region zu interessieren. Der Gründung eines souveränen Staates Südsudan stand 2011 nichts mehr im Weg. Dass die Grenze heute wie einst entgegen den Interessen vieler Ethnien gezogen wurde, störte weder ausländische Regierungen noch die Vereinten Nationen, die jetzt die Früchte für die Gründung eines Staates ernten, der zu zerfallen droht.

Die andauernden Kämpfe zwischen regierungstreuen Anhängern des südsudanischen Präsidenten Salva Kiir und Rebellen unter der Führung Riek Machars im Teilstaat Unity, durch die laut UNO rund 230.000 Südsudanesen ihr Zuhause verloren haben, spiegeln einen interethnischen Konflikt zwischen Dinka und Nuer wider, den selbst eine Unabhängigkeitserklärung nicht wettmachen konnte. Schon in den 1930ern forschte der britische Ethnologe Edward Evans-Pritchard im Südsudan. In seinem Werk "Die Nuer" berichtete er dann von einem feindlichen Verhältnis beider Ethnien, das mythologisch legitimiert wurde. Laut einem Schöpfungsmythos der Nuer wären Dinka und Nuer Söhne Gottes gewesen. Durch eine List hätten die Dinka ein junges Kalb gestohlen, das Gott den Nuer versprochen hatte. Daraufhin hätte Gott in seinem Zorn dem Nuer-Volk aufgetragen, sich an den Dinka bis ans Ende aller Tage zu rächen. Egal, ob viele Sudanesen diese Erzählung kennen oder nicht, sie veranschaulicht den Konflikt um Vieh - eine der wichtigsten Ressourcen in der Region - sehr deutlich.

Auf den Rückhalt seiner afrikanischen und westlichen Amtskollegen kann Salva Kiir, der Präsident mit dem Cowboy-Hut (angeblich ein Geschenk von George W. Bush), jedenfalls zählen. Er gehört den Dinka an, die mit kaum 15 Prozent eine bescheidene Mehrheit im Südsudan bilden, wo mehr als 200 verschiedene Ethnien miteinander leben. Der charismatische Dinka-Rebellenführer John Garang machte sich für einen Gesamtstaat stark, der vielleicht ein harmonischeres Zusammenleben der vielen Gruppierungen ermöglicht hätte als ein vom Westen unterstütztes, kaum regierbares unabhängiges Land.

Abgesehen vom Fluch des Erdöls und den politischen Wirren ist dessen Nachfolger Salva Kiir nun auch den Kämpfen um Vieh zwischen Nuer, Murle und anderen Gruppen ausgesetzt. Wie lange noch werden die ostafrikanischen Nachbarländer verhindern können, dass die Probleme im jungen Südsudan bald ihre eigenen sein werden?