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Merkel präsentiert Reformvertrag in neuem Gewand. | Blair als charmanter Verhandler. | Brüssel. Eine bereits im Juli unter portugiesischem EU-Vorsitz beginnende Regierungskonferenz soll die EU-Reform und den neuen Vertrag bis Oktober finalisieren. Das war das erklärte Ziel der noch eine Woche der EU vorsitzenden Deutschen unter ihrer Bundeskanzlerin Angela Merkel. 25 Mitgliedsstaaten konnten sich auch bereits mit den deutschen Kompromissvorschlägen anfreunden. Ein Streit mit Polen über das künftige Abstimmungssystem bei EU-Entscheidungen und Unstimmigkeiten über die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta waren jedoch hartnäckige Probleme.
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Und in der Nacht auf Samstag überschlugen sich die Ereignisse. Nach vielen Stunden unermüdlicher Verhandlungen zwischen Merkel und Polens Präsident Lech Kaczynski wies dessen Zwillingsbruder Premier Jaroslaw per polnisches TV ein Kompromissangebot aus Berlin zurück. Ungewöhnlich scharf kam umgehend die Antwort: Die deutsche Kanzlerin erklärte, sie werde die Regierungskonferenz eben ohne Polens Zustimmung einberufen, lade Warschau aber ein, noch einzulenken.
Scheinbar bereiteten die Deutschen parallel Gipfelbeschlüsse vor, in denen alle Länder ohne Polen einer Regierungskonferenz zustimmen sollten - ein ungewöhnlich harter Schritt, der nur in absoluten Ausnahmefällen vorkommt. Die Zustimmung anderer Mitgliedsstaaten dazu blieb vorerst offen - Litauen und Tschechien meldeten Bedenken an. Gleichzeitig war von einem neuen Entgegenkommen für Warschau in Gestalt einer Zusage zur Energiesolidarität die Rede.
Unterdessen tauchte das Gerücht auf, Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker wollten die Initiative für einen neuen Kompromissvorschlag unternehmen, um es nicht zu offenen Bruch kommen zu lassen. Demnach sollte das derzeit gültige und für Polen vorteilhafte Abstimmungssystem nach den Regeln des Nizza-Vertrags bis 2016 beibehalten werden können. Dabei hat Warschau fast so viele Stimmen wie Deutschland, dessen Bevölkerung zweimal so groß ist.
Beim in der Verfassung vorgesehenen System der doppelten Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten, 65 Prozent der Bevölkerung) verlöre Polen überdimensional Gewicht gegenüber Deutschland, hatte Kaczynski stets moniert. Er wollte das Stimmgewicht stets nach der Quadratwurzel der Bevölkerung berechnen - was den Vorteil der großen EU-Länder relativierte.
Laut dem gescheiterten Kompromiss hätte das Nizza-System bis 2014 beibehalten werden, ab dann automatisch die doppelte Mehrheit greifen sollen. Warschau hätte damit noch die Verhandlungen über den nächsten Finanzrahmen bestreiten können - an die 90 Milliarden Euro Strukturhilfen für sieben Jahre stehen für Polen auf dem Spiel.
Die polnische Regierung hatte allerdings die Verschiebung auf 2020 verlangt. Die von Juncker zusätzlich ins Spiel gebrachte Variante, knappe Entscheidungen nach der Quadratwurzel-Formel zu überprüfen, schien den Polen ebenfals nicht gereicht zu haben.
Keine Hymne und
keine Flagge
Der ursprüngliche Verfassungsvertrag werde von der Substanz her weitgehend erhalten, seine Form aber wird sich stark ändern. Neben Hymne, Symbolen und Flagge fällt auch die Erwähnung des Vorrangs des EU-Rechts vor nationalem Recht heraus. Der neue EU-Außenminister soll jetzt "Hoher Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik" heißen. Die Regelung der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta blieb weiter offen.
Besonders euphorisch sei dagegen der französische Präsident Nicolas Sarkozy aufgetreten: Das deutsche Papier hätte er am liebsten so genommen, wie es war, berichtete ein Sitzungsteilnehmer. Immerhin hatte Sarkozy sein Anliegen durchgebracht, im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt "ungestörter Wettbewerb" nicht mehr zu erwähnen.
Das hat zwar de facto keine Auswirkung. Markant sei jedoch, dass offenbar ein Vertrag möglichst ohne die Integration bekräftigende Sätze auskommen müsse, um die EU-Integration zu fördern, sagte ein Diplomat.