Avigdor Lieberman, Rivale des israelischen Langzeit-Premiers, gilt nach der Wahl als Königsmacher.
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Am heutigen Dienstag werden die Israelis zum zweiten Mal innerhalb von fünf Monaten zu den Wahlurnen gerufen. Der Ausgang des Votums wird mit Spannung erwartet. Derzeit sieht es so aus, als würden sich der amtierende rechtsnationalistische Premier Benjamin Netanjahu und sein Herausforderer Benny Gantz, der die politische Mitte repräsentiert, ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.
Noch interessanter als das Wahlergebnis wird aber sein, wer danach mit wem eine Koalition bilden kann. Langzeit-Premier Netanjahu hatte im April formal eine Mehrheit im israelischen Parlament, der Knesset, hinter sich. Der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, der mit seiner Partei Israel Beitenu ("Israel, unser Zuhause") Teil dieser Mehrheit war, brach allerdings einen Streit mit den ultraorthodoxen Parteien über die Wehrpflicht vom Zaun. Damit waren Netanjahus Regierungspläne vorerst gescheitert. Lieberman fordert ein Gesetz, das schrittweise mehr strengreligiöse Männer zum Wehrdienst verpflichten soll - was diese empört ablehnen.
Lieberman gilt als Königsmacher auch bei dieser Wahl. Er hat sich für eine große Koalition von Blau-Weiß, dem Bündnis des ehemaligen israelischen Militärchefs Gantz, und Likud ausgesprochen. Theoretisch denkbar ist nur eine rechts-religiöse Regierung unter einem Premier Netanjahu oder eine große Koalition mit Likud und Blau-Weiß. Bei dieser Variante ist aber unklar, wer den Ministerpräsidenten stellen würde.
Likud-Chef im Visierder israelischen Justiz
Denn Netanjahu sieht sich mit massiven Problemen konfrontiert: Der Generalstaatsanwalt will in drei Fällen Anklage wegen Korruption gegen den Politiker erheben. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug. Vor einer endgültigen Entscheidung, ob der Regierungschef wirklich vor Gericht muss, wird Anfang Oktober noch eine Anhörung erfolgen. Was passieren wird, sollte Netanjahu nach einem Wahlsieg als erster amtierender Premier in der Geschichte Israels angeklagt werden, ist noch offen. Formell wäre er nicht zum Rücktritt gezwungen - der öffentliche Druck wäre dann aber wohl übermächtig. "Netanjahu kämpft um sein politisches Überleben", bringt es der Politikwissenschafter Gideon Rahat von der Hebräischen Universität in Jerusalem auf den Punkt.
Um seinen Kopf zu retten, lässt Netanjahu in der Endphase des Wahlkampfes schwere Geschütze auffahren. Er kündigt im Fall eines Wahlsiegs die Annexion weiter Teile des Westjordanlandes an und droht mit einem weiteren Krieg im Gazastreifen. Er präsentiert sich als Politiker der Härte, gleichzeitig versucht er, in der Rolle des weltgewandten Staatsmanns Punkte zu sammeln. Am vergangenen Freitag etwa traf er Russlands Präsident Wladimir Putin in Sotschi. Wahlplakate zeigen ihn händeschüttelnd mit Putin oder US-Präsident Donald Trump. Die Opposition wirft dem Ministerpräsidenten dagegen vor, nichts gegen die von radikalen palästinensischen Gruppen abgefeuerten Raketen aus dem Gazastreifen zu unternehmen und Israel keinen Frieden sichern zu können.
Netanjahus Hauptkonkurrent Gantz wirbt unterdessen gezielt um die Stimmen der arabischen Israelis. Er trat sogar im arabisch-sprachigen TV auf. Immerhin machen die israelischen Araber, die über zahllose Diskriminierungen klagen, 21 Prozent der Bevölkerung aus. Doch bei der vergangenen Wahl nahmen nur 49 Prozent dieser Wählergruppe teil - bei einer Gesamtwahlbeteiligung von 69 Prozent. Die Mehrheit der arabischen Israelis wählt Netanjahu nicht. Gelingt es Gantz, die Nicht-Wähler an die Urnen zu bringen, könnte das theoretisch die Mehrheitsverhältnisse gegen Netanjahu kippen lassen.
Die Regierungsbildung wird sich jedenfalls enorm schwierig gestalten. Sollte es diesmal wieder keine klare Mehrheit für Likud und die rechten religiösen Parteien geben, könnte Israels Präsident Reuven Rivlin auch Gantz auffordern, eine Regierung zusammenzustellen. (ag/schmoe)