Laut Hochrechnungen hat Regierungschef Netanjahu Chance für eine vierte Amtszeit, endgültige Resultate im Laufe des Tages.
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Tel Aviv. Alles war bereit. Eine Sporthalle im Norden von Tel Aviv hat das Zionistische Bündnis auserkoren für ihre Wahlparty, ein Ort also, wo auch im Normalbetrieb Zahlen bejubelt oder beklagt, Siege gefeiert oder Niederlagen verdaut werden. Es war das vorausgesagte Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem amtierenden Regierungschef Netanjahu und seinem Herausforderer Isaac Herzog, Chef der Arbeitspartei und Kandidat des Zionistischen Bündnisses.
Und als die ersten Hochrechnungen abends um zehn Uhr Ortszeit über die großen Bildschirme flimmerten, erfuhr die zuvor feierbereite und durch donnerte Elektrobeats in der weiten Halle aufgeheizte Stimmung der vielen Kampagnenhelfer einen leichten Dämpfer. Die erhofften 27 Sitze hat das Zionistische Bündnis erreicht – doch der regierende Likud, die Partei Netanjhahus, hat über Nacht den prophezeiten Rückstand wettgemacht. Eine Pattsituation, ein präzises Abbild des polarisierenden Wahlkampfes.
Netanjahu konnte die Niederlage abwenden – jedoch auf Kosten seiner bevorzugten Koalitionspartner. Die rechtsgerichtete Siedlerpartei Jüdisches Heim von Naftali Bennett verliert voraussichtlich drei bis vier Sitze, und der Partei Unser Heim Israel von Aussenminister Lieberman, bei den letzten Wahlen noch Bündnispartner Netanjahus, kommt nicht über fünf Sitze hinaus. Zusammen mit den ultraorthodoxen Shas und Vereinigtes Torah-Judentum (je 7) hätte Netanjahu damit bereits ein solides Rechtsbündnis mit rund 55 Sitzen im Parlament in der Hand – holt er noch die Kulanu-Partei seines ehemaligen Parteigenossen Moshe Kahlon mit ihren zehn Sitzen, die in erster Linie das Finanzministerium im Auge haben, in den Koalitionsverhandlungen an Bord, wäre eine durchaus stabile Parlamentsmehrheit erreicht.
Für den Regierungschef ist das ein erfreuliches Szenario. Es gelang ihm in den letzten Tagen, die Wähler rechts der Mitte hinter sich zu scharen, in dem er die Gefahr eines "Hamastans" im Westjordanland und in Ostjerusalem heraufbeschwor, würde sein Herausforderer Herzog die Regierung übernehmen. Herzog hatte sich zwar für einen Siedlungsstopp und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit der Palästinenserführung ausgesprochen, weiter gingen seine Bekenntnisse jedoch nicht.
Rund 70 Prozent gingen wählen
Für das Zionistische Bündnis ist das Ergebnis eine Enttäuschung. Zwar hat es mit dem Likud gleichgezogen, jedoch dürfte es Herzog schwieriger fallen, eine Koalition zu bilden. Der "Juniorpartner", die linke Meretz-Partei, schaffte mit fünf Sitzen zwar den Wiedereinzug, und auch die liberale und sozialreformatorische Yesch Atid vom früheren Finanzminister Yair Lapid brachte mit elf Sitzen ein achtbares Resultat zustande. Den stimmenstärksten Partner links der Mitte, die Vereinigte Liste der Arabischen Parteien, dürfte Herzog jedoch kaum für eine Koalition gewinnen können. Die Arabischen Bürger Israels gingen mit einer Stimmbeteiligung von rund 70 Prozent zwar überdurchschnittlich zahlreich an die Urne und haben damit ein indirektes Bekenntnis zu den Institutionen des Staates abgegeben, was selbst von Likud-Vertretern geschätzt wird. Einer Regierung, die keine radikalen Schritte zugunsten eines Palästinenserstaates garantiert, wird die Vereinigte Liste jedoch kaum beitreten, und sie wäre aus nachvollziehbaren Gründen kein sicherer Partner: sollten bei einem erneuten Waffengang zwischen der Israelischen Armee und der im Gazastreifen regierenden Hamas wieder Opfer unter arabischen Zivilisten zu beklagen sein, steht ein Verbleib der Arabischen Parteien in der Regierungskoalition außer Frage. Somit müsste Herzog seine Partner rechts der Mitte oder gar bei den religiösen Parteien suchen – also dort, wo sich der Likud als natürlicher Partner eher anbietet.
Aufgrund der Pattsituation rückt ein drittes Szenario damit ins Rampenlicht: die große Koalition. Staatspräsident Rivlin hat dies nach der Bekanntgabe der Hochrechnungen bereits in Aussicht gestellt, um "die Gräben, die Israels Demokratie bedrohen", wieder zu schließen. Sie böte zudem den gleichauf stehenden Parteien die Gelegenheit, sich beide als Sieger erklären zu können. Ober der vorangegangene, mit persönlichen Angriffen geführte Wahlkampf solche Annäherungen erlaubt, ist zumindest fraglich.