Forderung nach Anerkennung des "jüdischen Staates" als Hemmschuh.
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"Wiener Zeitung": Im Schlusssatz Ihrer vor kurzem publizierten Erinnerungen schreiben Sie: "Ich habe vieles erlebt, was ich zuvor für unmöglich hielt. Mein sehnlicher Wunsch ist es, den Aufbruch zum Frieden in meiner Heimat noch zu sehen." Wie realistisch ist dieser Wunsch angesichts der Lage im Nahen Osten?Ari Rath: Ich glaube, es ist viel realistischer, als man denkt, denn alle möglichen Lösungen, inklusive Landaustausch, das ist alles bis zum letzten Detail abgemacht in der sogenannten Genfer Initiative. Daran haben Palästinenser und Israelis monatelang gearbeitet. Man muss nur die richtige Schublade aufmachen und bereit sein, das zu verwirklichen. Für zwei große israelische Siedlungsblöcke im Westjordanland sollen demnach die Palästinenser Land im Süden bei Beerscheba erhalten und der Gaza-Streifen soll etwas ausgeweitet werden.
Das Problem ist, dass auf den 22 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebiets, die für einen Palästinenserstaat nach dem Grenzverlauf von Anfang Juni 1967 zur Verfügung stehen, Israel jede Menge Siedlungen gebaut hat. Ursprünglich waren ja nach dem UN-Teilungsplan vom 29. November 1947 rund 41 Prozent für den arabischen Staat vorgesehen und etwa 43 Prozent für einen jüdischen Staat. Der Rest wäre die internationale Enklave von Jerusalem und Umgebung von Ramallah im Norden bis Betlehem im Süden gewesen.
Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hat im Dezember des Vorjahres als erster palästinensischer, ja als erster arabischer Führer eingestanden, dass man anlässlich des UNO-Teilungsplanes den großen Fehler begangen habe, diesen Plan abzulehnen und zu bekämpfen.
Dazu kommt, dass im Gaza-Streifen, den Sharon geräumt hat, der zuvor jede Menge Siedlungen gebaut hat, die Hamas die Macht übernommen hat. Erst vor wenigen Tagen gab es von dort wieder heftige Angriffe auf Israel. Aber viele Palästinenser behaupten - und ich meine nicht zu Unrecht -, dass, wenn die Palästinenser im Westjordanland ein funktionierendes, selbständiges Staatswesen bekommen, sich die überwiegende Mehrheit der Palästinenser in Gaza anschließen wird.
Derzeit ist aber alles blockiert und die derzeitige Regierung verlangt von den Palästinensern, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen. Das hat seinerzeit nicht einmal Menachem Begin bei den Friedensverhandlungen mit Ägypten verlangt und auch beim Friedensschluss mit Jordanien war nicht davon die Rede. Dazu muss man wissen, dass etwa 20 Prozent der israelischen Bevölkerung Palästinenser sind.
Sind nach den Wahlen im Jänner hier neue Schritte zu erwarten?
Das ist eine große Frage. Überraschend hat sich Premierminister Netanyahu zu einem Bündnis mit Avigdor Lieberman entschlossen, der als rassistischer Hardliner gilt. Damit ist der wahre Netanyahu jetzt erschienen. Bis vor kurzem haben ja viele gehofft, dass der pragmatische Politiker Netanyahu irgendwann zu einem Abkommen bereit sein wird. Ich bin nicht sicher, ob das nicht von Netanyahu ein großer Fehler gewesen ist. Ich war jetzt zehn Tage in Israel und habe bei meinen Taxifahrten - Taxler sind ja die vox populi, die Stimme des Volkes - zu meiner Überraschung fast ausschließlich negative Reaktionen auf das Bündnis Netanyahu-Lieberman erfahren. Einer hat mir gesagt, wenn jetzt der Lieberman noch wählen kann, welchen Posten er haben will und Verteidigungsminister wird, haben wir übermorgen Krieg. Es könnte sich daraus für Netanyahu die Gefahr ergeben, dass er eine Reihe von potenziellen Wählern der Likud-Partei durch diese Verbindung mit dem rassistischen Lieberman abstößt.
Wem würde das nützen?
Es könnten sich in den knapp drei Monaten bis zur Wahl am 22. Jänner andere interessante Gruppierungen bilden. Im sogenannten israelischen Sommer haben im Vorjahr bis zu 400.000 Menschen ihre Unzufriedenheit über die hohen Wohnungspreise und die niedrigen Gehälter ausgedrückt. Das war ein sozialer Aufstand, nicht ein politischer,
aber es hat sich wenig geändert. Millionen, ja Milliarden fließen weiterhin in die Siedlungen. Diese 400.000 Unzufriedenen sind eine politische Masse, die bisher bei Wahlen noch nicht getestet wurde.
Und wie stehen die Chancen der Arbeitspartei von Ehud Barak?
Barak läuft durch das Bündnis Netanyahu-Lieberman Gefahr, der neuen Regierung nicht mehr anzugehören.
Es gab in den letzten Tagen Berichte, dass Netanyahu und Barak 2010 die Vorbereitung eines Angriffs auf den Iran angeordnet haben, aber an Militär und Geheimdienst scheiterten. Wie groß ist die Gefahr eines solchen Schrittes?
Ich bin überzeugt, dass das kleine Israel es nicht wagen würde, so einen Schritt ohne die Zustimmung der USA zu setzen. Israel kann es sich nicht leisten, zu riskieren, dass die USA ihre Milliardenhilfen einstellen. Es gab einen Präzedenzfall nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973, als Israel 1975 beim Entflechtungsabkommen auf dem Sinai zwei Pässe nicht aufgeben wollte und US-Außenminister Henry Kissinger auf die Erfüllung des vereinbarten Abkommens pochte und ein halbes Jahr die Geldhähne zudrehte.
In Ihrem Buch zeigen Sie sich auch besorgt über das moderne Pressewesen und den zunehmenden Einfluss von Gratiszeitungen, die Sie sogar als Bedrohung der Demokratie bezeichnen.
Zeitungen sind das Spiegelbild einer Gesellschaft. Das behaupte ich schon seit Jahrzehnten. Leider ist Österreich ein Unikum mit der großen Auflage der "Kronenzeitung", die das Vierfache dessen beträgt, was die seriösen Blätter gemeinsam an Auflage haben. Dazu kommt das "heute", die Schwiegertochter der "Kronenzeitung". Vor Jahren wollte der in der Zwischenzeit leider verstorbene Herausgeber Hans Dichand einmal ein Gespräch mit mir führen. Ich sagte ihm: "Mit Ihrer einflussreichen Zeitung könnten Sie eine sehr wichtige Rolle spielen, wenn Sie gegen Rassismus auftreten würden und ein bisschen moderater." Da schaute er mir in die Augen, legte seine Hand auf meine und sagte: "Herr Rath, Sie sind ja vom Fach. Sie wissen, dass es Grenzen gibt, über die hinaus man seinen Lesern nicht vorangehen kann."
Zur Person
Der am 6. Jänner 1925 in Wien geborene Ari Rath emigrierte im November 1938 gemeinsam mit seinem Bruder nach Palästina. Nach frühen Jahren im Kibbuz studierte er Zeitgeschichte und Volkswirtschaft und wurde 1957 Mitarbeiter der "Jerusalem Post", deren Chefredakteur er von 1975 bis 1989 war. Er war auch enger Mitarbeiter des Staatsgründers Ben Gurion und des langjährigen Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek. Rath, der 2005 wieder die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat, veröffentlichte vor kurzem im Zsolnay-Verlag seine Erinnerungen unter dem Titel "Ari heißt Löwe".