Vermittlung von kreativen Talenten stärkt Wirtschaftsstandort.
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Wien. "Ich bin ein Performing Artist und hatte immer nebenbei einen Brotjob, meistens langweilige Büroarbeit", erzählt Joseph Boyewa. An kreativen Ideen mangelte es ihm eher selten, nur um an "spannende Jobs" heranzukommen, fehlte ihm das Netzwerk. Vor mehr als einem halben Jahr wandte er sich deshalb an die Netzwerker Austrian Talent Network (ATN), die sich zum Ziel gesetzt haben, junge migrantische Kreativtalente zu fördern. Über deren Vermittlung arbeitet Boyewa heute als Produktionsleiter der Filmproduktionsfirma "Veni Vidi Movie". Neben Joseph Boyewa konnte ATN im ersten Jahr des Bestehens bereits 24 weitere Personen etwa als Eventmanager, Grafikdesigner, Make-up-Artist oder Virtual Fashion Designer an den Arbeitsmarkt vermitteln. Mehr als 150 Lebensläufe aus 24 Herkunftsländern sind im Bewerberpool, sagt Ivana Cucujkic, zuständig für PR- und Medienarbeit bei ATN. Darunter Personen mit indischer, ghanaischer, bolivianischer oder australischer Herkunft. Die meisten davon seien topqualifiziert.
Es gäbe viele topqualifizierte Kreative in Österreich, stellt Sammy Zayed, Gründungsmitglied des Vereins, fest. Nur sei dieses Potenzial weitgehend unbekannt. Das führe so weit, dass viele Kreative nach Österreich eingeflogen werden, obwohl so viel Potenzial bereits vorhanden wäre. "Das ist in Wahrheit eine Verarsche", ärgert er sich.
Beim Start des Vereins im Mai 2012 hatte man sich vorgenommen, innerhalb von zwölf Monaten 20 Personen zu vermitteln. Dieses Ziel sei bereits nach neun Monaten erreicht worden, freut sich Cucujkic. Auch sie wurde von ATN entdeckt und ist heute fixer Bestandteil des Kernteams, das nun von vier auf sieben Personen aufgestockt wird. Die Ausweitung sei dringend notwendig, da die gesammelten Erfahrungen gezeigt haben, dass ein großer Informationsbedarf zum Thema freie Stellen in Kreativbranchen bestehe, so Cucujkic. Das Sichtbarmachen der Stellenangebote stelle einen wichtigen Aspekt des ATN dar. Jede Anfrage von Bewerbern werde zudem beantwortet. Dies bestätigt auch eine Bewerberin, die gewohnt ist, normalerweise nicht einmal eine Absage zu bekommen.
Soziales im Vordergrund
"Unser Projekt ist gesellschaftlich relevant, funktioniert und stärkt den Wirtschaftsstandort", stellt Cucujkic klar. "Wir unterstützen die Unternehmen im Personalmanagement", fügt der Obmann des Vereins Geronimo-Noah Hirschal hinzu. Das sei auch ein Grund dafür, warum es so gut läuft. Es werden zudem nur bezahlte Praktika vergeben, betont er. Wichtig sei, die Unternehmen bei ihrer sozialen Verantwortung zu packen.
Auch die Sicherung der Nachhaltigkeit sei ein wichtiger Punkt in der Vereinsphilosophie. Personen, die nur für einen begrenzten Zeitraum einen Job finden oder kündigen würden, bleiben im Netzwerk enthalten. Wie etwa Priszcilla Szabo. Die studierte Theaterwissenschafterin möchte einmal Dramaturgin werden und bekam 2012 durch ATN ein Sommer-Praktikum im Wiener Lustspielhaus. Diesen Sommer soll sie wieder vermittelt werden, mit Aussicht auf ein längeres Arbeitsverhältnis.
Neben der Job-Vermittlung werde auch eine zunehmende Eigenständigkeit der Personen im Netzwerk forciert. "Neben unserem Netzwerk sollen sich die Leute auch ein eigenes Netzwerk aufbauen", sagt Cucujkic. Großgeschrieben werde im Verein das Ablehnen von Fremdenfeindlichkeit. "Ich bin immer wieder schockiert, wie manche Menschen mit Neuem oder Fremden umgehen", sagt Geronimo-Noah Hirschal. Alle Gründungsmitglieder würden ein multikulturelles Leben führen. Viele Menschen glauben, dass so etwas nicht funktionieren könne, "wir sind aber personifizierte Beweise, dass das Gegenteil der Fall ist", ist er sich sicher.
In der ersten Zeit des Netzwerks versuchte man positiv zu diskriminieren, so Hirschal: Aufgrund des geringen Frauenanteils in der Branche wurden Frauen mit Migrationshintergrund bevorzugt behandelt. Mittlerweile musste man von dieser Strategie aber absehen, weil Migrantinnen oftmals besser qualifiziert seien als ihre männlichen Pendants.
Der Erfolg von ATN hat sich bereits herumgesprochen, Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) meinte zuletzt: "Na, dieser Laden rennt." Auch die Konkurrenz erwacht. Ein ehemaliger Kooperationspartner will dasselbe Service kostenpflichtig anbieten, so Cucujkic.
Am 7. Mai wird anlässlich des ersten Geburtstags des Vereins eine Pressekonferenz mit Jahresbericht und Filmpräsentation im Mumok stattfinden. Für die Zukunft geplant sind eine stärkere Positionierung im Rahmen von Eigenevents. Auch die Anzahl der Vermittlungen soll weiter gesteigert werden.
Arbeitskräfte im Kreativbereich werden auf jeden Fall gebraucht, denn der Sektor boomt, wie Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer bestätigt: Bereits jetzt werden elf Prozent des Wiener Regionalprodukts am Kreativsektor erwirtschaftet. Nachsatz: "Tendenz steigend."