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Netzwerkerin der Jahrhundertwende

Von Christine Dobretsberger

Wissen

Yella Hertzka war Frauenrechtlerin und gründete die erste Höhere Gartenbauschule für Frauen. Vor 150 Jahren wurde sie geboren.


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Weshalb manche Menschen, die zeit ihres Lebens eine führende Rolle in der Gesellschaft gespielt haben, dennoch nahezu in Vergessenheit geraten sind, ist eine Frage, die sich auch im Falle von Yella Hertzka stellt.

Am 4. Februar 1873 als Tochter von Ferdinand und Agnes Fuchs in Wien geboren, absolvierte sie eine Ausbildung an einer höheren Gartenbauschule in Bad Godesberg im Rheinland. 1897 heiratete sie im Wiener Stadttempel den österreichischen Musikverleger Emil Hertzka. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nahm Yella Hertzka dann in der österreichischen wie auch in der internationalen Frauenbewegung führende Positionen ein. Sie unterhielt auffallend viele und breit gefächerte transnationale Beziehungen und würde heute als umtriebige Netzwerkerin bezeichnet werden.

Sie besaß ein gutes Gespür für aufkeimende Stimmungen und Trends in der Gesellschaft - sowohl positiver wie negativer Natur. So sah sie den enormen Rückschritt voraus, den faschistische Bewegungen, allen voran der Nationalsozialismus, für eine emanzipatorische Politik für Frauen bedeuten würde. Bereits im August 1933 appellierte Hertzka an das Präsidium der Internationalen Frauenliga, alle Kräfte dafür einzusetzen, "daß in den neuen Verfassungen, die viele Länder jetzt bekommen werden, nicht jeder freiheitliche Gedanke unterdrückt wird. Vor allem besteht die größte Gefahr, daß die Frauen wieder gänzlich mundtot gemacht werden, also die Arbeit von hundert Jahren in dieser Beziehung eigentlich zunichte gemacht wird."

International aktiv

Aufgrund ihres langjährigen Engagements in der bürgerlichen Frauenbewegung bezeichnete sie sich selbst als "Frauenrechtlerin", war Mitbegründerin des Ersten Wiener Frauenklubs (1900 bis 1902) sowie von 1903 bis 1933 Präsidentin und später Ehrenpräsidentin des Neuen Frauenklubs. Sitz dieses Vereins waren die Tuchlauben Nr. 11, für dessen Miete Hertzka alleine aufkam.

Die Teilnehmerinnen des WILPF-Kongresess in Wien (Yella Hertzka stehend, 3.v.l.).
© Public domain / via Wikimedia Commons

Die internationale Bühne betrat sie erstmals 1904 in Berlin mit der Teilnahme am Kongress des International Council of Women (ICW). In der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) war sie Vorstandsmitglied und maßgeblich daran beteiligt, dass der dritte internationale Kongress der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) 1921 in Wien stattfand. Innerhalb der WILPF war Hertzka ab 1924 Vorsitzende der osteuropäischen Kommission, die sich mit Minderheitenfragen befasste.

Trotz all dieser Aktivitäten und Leistungen ist Yella Hertzka heute nur noch in Insiderkreisen bekannt. Wenn von den Pionierinnen der bürgerlichen Frauenbewegung die Rede ist, erinnert man sich vorrangig an Rosa Mayreder, Auguste Fickert oder Marianne Hainisch. Wie konnte dies geschehen?

© StudienVerlag

Die Historikerin Corinna Oesch befasste sich in ihrer Dissertation "Yella Hertzka (1873-1948). Vernetzungen und Handlungsräume in der österreichischen und internationalen Frauenbewegung" (StudienVerlag, Innsbruck 2014, 304 Seiten, 34,90 Euro) nicht zuletzt auch mit dieser Frage und kam zu mehreren Schlüssen.

Zuallererst bedeutete der Nationalsozialismus einen Bruch für fortschrittliche Frauenbewegungen: Viele Aktivistinnen waren - wie Hertzka - jüdischer Herkunft und wurden von den Nationalsozialisten vertrieben oder ermordet. Hertzkas Internationalität könnte ein weiterer Grund für die verblasste Erinnerung an sie sein. Während es im nationalen Rahmen institutionalisierte Gedächtnisorte gibt, fehlen diese auf internationaler Ebene weitgehend. Ihre transnationalen Beziehungen erschweren auch Recherchen zu ihrer Person, da relevante Quellen über Länder und Kontinente verstreut sind und ihr Wirken zudem vielfältiger Natur war.

So unterstützte sie etwa die Pädagogin Salka Goldmann bei der Gründung eines privaten Lyzeums für Mädchen im Wiener Cottageviertel. Der Unterricht fand zunächst in einer Privatwohnung in der Kreindlgasse statt, ehe Hertzka der Schule 1905 ein neu erbautes Haus in der Gymnasiumstraße 79 zur Verfügung stellte.

Als Goldmann bald darauf das Öffentlichkeitsrecht für das "Cottage-Lyzeum" erwirkte, musste sie die Leitung an einen Mann abgeben, blieb der Schule aber als Lehrende erhalten. Zu ihren Schülerinnen zählte unter anderen Anna Freud, die von 1917 bis 1920 selbst an der Schule unterrichtete. Heute befindet sich in diesem Gebäude übrigens das zur rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien gehörende Hans- Kelsen-Institut.

Berufliche Synergien mit Salka Goldmann unterhielt Hertzka auch im Rahmen der von ihr im Jahr 1913 ins Leben gerufenen zweijährigen Höheren Gartenbauschule für Frauen und Mädchen, der ersten derartigen Einrichtung der Monarchie. Damit folgte sie einem Trend, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts von England und Deutschland ausgegangen war. Gartenbau als Berufsfeld für Frauen wurde in der internationalen Frauenbewegung propagiert und kann als Sinnbild für veränderte Erwartungen an die Rolle von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden.

Spalierobstbäume in der Gartenbauschule für Mädchen, Kaasgraben 19 (Foto von 1926).
© Wilhelm Willinger / Public domain / via Wikimedia Commons

Aufgrund gesellschaftspolitischer oder privater Veränderungen waren auch immer mehr Frauen des Mittelstandes auf ein eigenes Einkommen angewiesen. Zur damaligen Zeit waren ihnen jedoch viele Berufsfelder verschlossen, nicht zuletzt, da Frauen bis zur Ersten Republik der Zugang zu staatlich finanzierten Schul- und Ausbildungsstätten im Wesentlichen verwehrt war. Darüber hinaus eröffnete ihnen der Gartenbau die Chance, aus ihrer von bürgerlicher Seite zugedachten passiven Rolle in der Gesellschaft auszubrechen.

Yella Hertzkas Gartenbauschule hatte ihren Standort inmitten der von Josef Hoffmann als Wohn- und Begegnungsraum konzipierten und vom Ehepaar Hertzka finanzierten Villen- und Künstlerkolonie Kaasgraben. Sie fungierte nicht nur als Direktorin der Schule, sondern unterrichtete auch Betriebslehre sowie Boden- und Gesetzeskunde. Der Lehrplan zielte darauf ab, "verlässliche Gärtnerinnen heranzubilden und so in die Betriebstechnik einzuführen, dass sie nach mehrjähriger Praxis leicht imstande sind, selbst Betriebe zu leiten bzw. selbst solche ins Leben zu rufen".

Für das Kuratorium ihrer Schule konnten bekannte Persönlichkeiten gewonnen werden, etwa Richard Wettstein, Professor für Botanik und Direktor des Botanischen Gartens der Universität Wien, sowie Adolf Vetter, Mitinitiator des Österreichischen Werkbundes. Prominente Namen finden sich auch auf der Liste der Lehrkräfte, allen voran der Gartenarchitekt Albert Esch, der zur damaligen Zeit zu den Pionieren moderner Garten- und Landschaftsgestaltung zählte. Salka Goldmann unterrichte das Fach Nationalökonomie.

In Musikerkreisen

Emil Hertzka (1869–1932).
© Georg Fayer / Public domain / via Wikimedia Commons

Da sich die Schule über eigene Einnahmen finanzieren musste, richtete sich dieses Ausbildungsangebot primär an wohlhabende Familien, die es sich leisten konnten, Schulgeld zu bezahlen. Finanzielle Erleichterungen konnten allerdings für mittellose Schülerinnen über den ebenfalls von Hertzka gegründeten "Verein der Grinzinger Gärtnerinnen" gewährt werden, und zwar in Form von auf Spendengeldern basierenden Stipendien.

Prägende Akzente setzte Yella Hertzka auch am musikalischen Sektor. Aufgrund ihrer Ehe mit Emil Hertzka, der von 1907 bis zu seinem Tod 1932 den Musikverlag Universal Edition leitete, stand sie seit vielen Jahren in regem Kontakt mit den wichtigsten Komponisten ihrer Zeit. Um nur einige zu nennen: Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg, Béla Bartók, Ernst Krenek und Egon Wellesz, der übrigens auch in der Kaasgraben-Künstlerkolonie lebte. Sie alle publizierten ihre später als "entartet" diffamierte Musik bei der Universal Edition und pflegten teils intensive Kontakte zum Ehepaar Hertzka.

In seiner Autobiographie "Im Atem der Zeit" beschreibt Ernst Krenek Yella Hertzka als "eine sehr zupackende Frau mit gewissen männlichen Eigenschaften, geschäftstüchtig, obgleich etwas konfus, betont feministisch eingestellt und für alle fortschrittlich erscheinenden Ideen offen".

Da Emil Hertzka in seinem Testament seine Frau als Universalerbin einsetzte, sicherte er auf diesem Wege auch deren späteren Einfluss auf die Universal Edition. Ab 1932 war Yella Hertzka federführend im Verlag tätig und bewies ein gutes Gespür bei der Auswahl und Förderung zeitgenössischer Musikschaffender, zu denen neben Gottfried von Einem auch die Komponistin Maria Hofer zählte, der in der Kaasgrabenkolonie für Wohn- und Arbeitszwecke ein Gartenhaus mit Orgel zur Verfügung gestellt wurde.

Im Park der Villenkolonie fanden immer wieder Gartenfeste statt, zu denen führenden Persönlichkeiten des Musiklebens geladen waren und die, wie Ernst Krenek in seinen Erinnerungen festhielt, Kultcharakter besessen haben dürften: "Hier lebte förmlich noch das großartige Fin de Siècle, hier besaß Wien noch etwas vom Glanz einer untergegangenen Epoche - und hier spürte man dennoch den ,Atem der Zeit‘."

Exil und Rückkehr

Mit der Machtübernahme Hitlers und der damit verbundenen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden erfuhr Yella Hertzka einen Ausschluss aus allen Wirkungsbereichen, in denen sie bisher tätig gewesen war (Gartenbauschule, Frauenklub, Universal Edition, österreichischer Zweig der IFFF). Ihre Flucht ins Exil nach England erfolgte Anfang 1939, nachdem sie am 30. Dezember 1938 ihren aus Prag stammenden Cousin Edgar Taussig geheiratet hatte, um die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Ein Reisepass dieses Landes ermöglichte ihr zu diesem Zeitpunkt noch eine Ausreise aus dem Deutschen Reich.

Um in England ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erwies sich die Ausbildung in Gartenbau als hilfreich. Allerdings war Hertzka im Exil erschwerten Arbeitsbedingungen ausgesetzt und vorwiegend in unselbstständigen Arbeitsverhältnissen tätig. Somit sah sie sich mit der Diskrepanz zwischen dem bürgerlichen, idealisierten Berufsbild einer Gärtnerin und den Lebensverhältnissen einer abhängigen Lohnarbeiterin in der Haus- und Landwirtschaft konfrontiert. Ihr fortgeschrittenes Alter und die harten Arbeitsbedingungen blieben nicht ohne Auswirkungen auf ihre Gesundheit.

1946 kehrte sie im Alter von 73 Jahren nach Wien zurück, engagierte sich beim Wiederaufbau einer österreichischen Sektion der IFFF und wurde 1947 zur öffentlichen Verwalterin des Musikverlags Universal Edition berufen. Am 13. November 1948 starb Yella Hertzka, ihre letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Döblinger Friedhof an der Seite ihres ersten Ehemannes Emil Hertzka.

Begibt man sich heute in Wien auf Spurensuche, führt ein Weg in die Seestadt Aspern, wo 2015 ein nach ihr benannter Park eröffnet wurde. Seit 2022 erinnert auch eine Tafel in der Pionierinnengalerie des Wiener Rathauses an Yella Hertzkas Lebenswerk.

Christine Dobretsberger, 1968 geboren, lebt als freie Journalistin und Autorin in Wien.