Der Vertrauensverlust nach einem verlorenen Jahrzehnt ist auch mit neuen Köpfen nicht zu mindern.
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Nach einem Jahrzehnt des wirtschaftspolitischen Stillstands (das einst in den Geschichtsbüchern wohl nur mit Banken-"Rettung", Rekordschulden und Rekordarbeitslosigkeit vermerkt sein wird), steht das politische System an einer Zeitenwende. Die großen Themen der vergangenen zwei Jahre waren geprägt durch die Abfolge von unsachlicher Diskussion, missverständlichen Minimalkompromissen bei meist sozialpartnergesteuerten Gipfeln, frustrierender Kommunikation und handwerklich schlechter Umsetzung. Siehe Steuertarifanpassung und Gegenfinanzierung. Siehe Arbeitsmarktgipfel (vom vergangenen Herbst, Sie erinnern sich ...?), Bildungsreform. Oder Pensionsgipfel. Oder zuletzt: Vergangene Woche wurden Vorschläge zur besseren Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt seitens der Regierung entgegengenommen und werden nun sechs Wochen lang "geprüft". Na dann.
Mit Werner Faymann ist nun der Stillstandskanzler einer Stillstandskoalition abgetreten. Österreich taumelt längst in international relevanten Standortrankings abwärts. Die Unternehmen können sich noch so bemühen, auf Wachstumsimpulse, Strukturreformen oder Signale für höhere Energieeffizienz, leistbareres Wohnen etc. warten sie vorläufig vergebens. Maßnahmen zur Konjunkturbelebung werden selbst dann nicht weiter diskutiert, wenn sie sich durch höhere Steuereinnahmen (als Folge von Wachstum) oder geringere Sozialausgaben selbst tragen würden.
Die "Gegenfinanzierung" der Steuerreform zeigt gerade ihre wirtschaftspolitische Wirkung: Höhere Mehrwertsteuer in der Hotellerie, Registrierkassenchaos und höhere Rückstellungen für Jubiläumsgelder treffen gerade jene, die für Beschäftigung sorgen. Voraussichtlich versanden die Finanzausgleichsverhandlungen wieder ohne große Reform. In den Ex-Großparteien und in der Regierung geben die Länder den Ton an. Das Bewahrer-Kartell aus "großer" Koalition, Sozialpartnern und Föderalismusreformverweigerern hält das Land weiterhin in Geiselhaft. Das ist bedauerlich. Denn den Preis dafür zahlen wir alle: heute durch hohe Steuern und Sozialabgaben, morgen durch geringere Zukunftschancen und die Belastung durch noch höhere Staatsschulden.
Das Vertrauen ist verspielt. Auch neue Köpfe in den Parteien würden in der bestehenden Konstellation (einmal abgesehen von eventuellen symbolischen Anfangserfolgen) keinen Systemwechsel bewirken. Mittlerweile festigt sich nicht nur in Wirtschaftskreisen der Eindruck, dass die wahre Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft nur durch Entlastung von dieser Regierungskoalition erreicht werden kann. Reformallianzen - etwa aus ÖVP, FPÖ und Neos - und gemeinsame Positionierungen in wichtigen Sachfragen sind gefragt. Auch durch neue Koalitionsformen nach allenfalls vorgezogenen Neuwahlen, um das Diktat des kleinsten gemeinsamen Nenners brechen. Die Zeit drängt, denn die Wirtschaftsdaten zeigen südwärts und Zuversicht ist kaum zu spüren. Eventuell findet man auch alternative Formen der Zusammenarbeit. Die Krise der Politik rechtfertigt jedenfalls das Verfolgen von kreativen Lösungen für einen Neuanfang.