Die Fünf-Sterne-Bewegung will in Italien an die Macht.
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Rom. Andrea Cecconi ist dünn und groß, trägt Dreitagebart, ein strahlend blaues Polohemd und am rechten Handgelenk eine weiße Apple-Watch. Als Krankenpfleger, Cecconis eigentlicher Beruf, geht der 34-Jährige problemlos durch. Als Parlamentsabgeordneter weniger. Aber Cecconi sitzt seit fünf Jahren für die Fünf-Sterne-Bewegung im italienischen Abgeordnetenhaus in Rom. Am 4. März sind Parlamentswahlen in Italien, die Antisystempartei des Komikers Beppe Grillo liegt in den Umfragen vorne.
Wenn man Cecconi so gegenüber sitzt und ihn ansieht, halb Nerd, halb Idealist, dann ist das auch ein Blick auf die Zukunft des Landes. Denn nach dem 4. März stellt sich die Frage, die einige im Land frohlocken lässt und andere zur Verzweiflung treibt: Werden die "Grillini", diese teils anarchische und wohl absonderlichste politische Kreatur Europas, wirklich die neue italienische Regierung stellen?
Viel auf dem Spiel
Es steht viel auf dem Spiel. Antisystemparteien wollen bekanntlich das bestehende System verändern. Gewiss gibt es in Italien akuten Veränderungsbedarf, Vetternwirtschaft und die Pflege von Privilegien stehen immer noch ausgesprochen hoch im Kurs. Sorgen machen sich die Gegner der Fünf-Sterne-Bewegung, die nicht nur südlich der Alpen, sondern auch in Brüssel und Berlin sitzen, wenn sie an die wirtschaftlichen Folgen einer Grillo-Regierung denken. Italien ist schließlich die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU und wegen seines extrem hohen Defizits (2,26 Billionen Euro) anfällig für die Spekulationen der Finanzmärkte. Wer also die Fünf-Sterne-Bewegung in Misskredit bringen will, der malt ein Schreckensszenario an die Wand, in dem eine Horde von Dilettanten das Ruder übernimmt. Einer von ihnen soll Andrea Cecconi sein, einfacher Parlamentarier, kurzzeitig Fraktionsvorsitzender. Man wechselt sich turnusmäßig ab bei den Grillini. Cecconi ist ein netter Typ, schlagfertig und intelligent. Ihn als inkompetent zu beschreiben, wäre nicht zielführend. Vor allem, wenn man sich die Urheber dieser Pauschalurteile vor Augen hält, etwa den wegen Steuerhinterziehung verurteilten Ex-Premier Silvio Berlusconi, der nach bald 25 Jahren in der Politik immer noch nicht genug hat.
"Wie eine Thunfischdose"
Beppe Grillo, der Guru und Übervater, der seine Kreatur aus dem Hintergrund steuert, versprach nach den Wahlen vor fünf Jahren, als die Fünf Sterne aus dem Stand bereits 25 Prozent der Stimmen erreichten, das Parlament "wie eine Thunfischdose" zu öffnen und sämtliche Altlasten, von an ihren Sesseln festgewachsenen Abgeordneten bis hin zu üppigen Diäten auszumisten. Die Anti-System-Haltung zeigte Wirkung, es ist in der italienischen Politik nun schick, sich gegen Dienstautos und hohe Bezahlung von Politikern auszusprechen. Berlusconi behauptete am Wochenende etwas überraschend: "Die Politik und ihre Profis ekeln mich an." Privilegien werden plötzlich hinterfragt. Doch die Vorstellung, wirklich Licht in das Dunkel der politischen Machenschaften in Rom zu bringen, war eine Illusion.
Das gilt auch für die finsteren Seiten der Fünf-Sterne-Bewegung. Deren Vertreter fordern direkte Demokratie und Transparenz. Was aber die Auswahl und die Führung des eigenen politischen Personals angeht, die Rolle der Firma Casaleggio, die die digitalen Fäden der Bewegung in ihren Händen hält, werden diese Ideale nicht immer verfolgt. Mehr als 40 Parlamentarier schieden in der vergangenen Legislaturperiode im Streit aus der Bewegung aus oder wurden ausgeschlossen. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die der Allgemeinheit zur Macht verhelfen will, klammert sich auffällig oft an autoritäre Mechanismen. Ein Grunddilemma scheint von Beginn an auch in der Person des charismatischen Anführers Grillo auf, der im Wahlkampf bisher kaum in Erscheinung getreten ist und offenbar Abstand zu nehmen versucht. Grillo, der früher unermüdlich und lautstark gegen die vermeintlichen und tatsächlichen Verbrecher im Parlament wütete, genügt selbst kaum den eigenen Ansprüchen. 1981 kamen bei einem von ihm fahrlässig verursachten Autounfall zwei seiner Freunde und deren Sohn ums Leben. Seither ist Grillo, der nie ein politisches Mandat innehatte, vorbestraft.
Aber immer noch sind die Missstände in Italien so groß, sozial, wirtschaftlich und moralisch, dass die Außenseiter, die keine Außenseiter mehr sind, gute Chancen auf den Wahlsieg haben. Grillo wird der Wahlsieg vorhergesagt, ob dann auch genug Parlamentsmandate zusammen kommen, um eine Regierung zu bilden, ist eine andere Frage. "Wir können uns nicht mit anderen politischen Kräften verbünden", sagt Cecconi. Seit Jahren bekämpft die Bewegung das politische Establishment und beschreibt Sozialdemokraten wie Berlusconi-Lager für vergleichbar inakzeptable Übel. Zuletzt hat die Partei das Dogma, mit niemandem eine Koalition einzugehen, über Bord geworfen.
Was für ein Italien haben die Grillini eigentlich vor Augen? Luigi Di Maio, der 31 Jahre alte, telegene Spitzenkandidat der Bewegung, ein zweifacher Studienabbrecher und Programmierer, versucht, Eindruck in einem ausgesprochen weiten Wählerspektrum zu machen. Di Maio wurde im September mit 31.000 Online-Stimmen der Aktivisten gekürt. Er umwarb nicht nur die Botschafter einiger EU-Länder in Rom, um im eng geschnittenen Anzug und glatt rasiert Seriosität zu vermitteln, sondern warf katholischen Wählern ebenso ein paar Brocken vor wie Rechtskonservativen. Die Grillini positionierten sich auch gegen die Adoption durch gleichgeschlechtliche Lebenspartner, gegen die im Mittelmeer den Flüchtlingen zu Diensten stehenden NGOs, versprechen 10.000 Polizisten einzustellen und zwei neue Gefängnisse zu bauen. Die Bewegung schielt nach rechts, dabei stammen Leute wie der Abgeordnete Andrea Cecconi eher aus der linken Ecke.
Die fünf Sterne im Emblem der Bewegung stehen eigentlich für die Bereiche Wasser, Umwelt, Internet, Entwicklung und Transport. Ursprünglich handelte es sich bei den Grillini also um eine Mischung aus Piratenpartei und Grünen, die auf dem Weg zur Macht beliebig geworden ist. Cecconi wiederum scheint eigene Vorstellungen für die Zeit nach der Wahl zu haben. Da wäre nicht nur die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Italiener, die Kernforderung der Grillini, sondern auch eine auf 50 Jahre angelegte Energiereform, bei der Sonnen- und Windenergie sowie Methangas zu den bevorzugten Energiequellen würden. Das ist ein ehrgeiziger Plan, der sich etwas an der italienischen Wirklichkeit reibt. In Rom zum Beispiel kann man sich nicht einmal auf die benzinbetriebenen Busse verlassen. Wie soll das erst mit Elektrofahrzeugen werden?
Achillesferse Rom
Die Hauptstadt ist die Achillesferse der Bewegung. Die Bürgermeisterin Virginia Raggi, die wegen Amtsmissbrauchs und Falschaussage vor Gericht steht, ist dort seit eineinhalb Jahren am Ruder. Selbst Wohlwollende müssen ihr Scheitern eingestehen. Der Müll quillt seit Weihnachten aus den Abfalltonnen, bei Regen mutiert das Verkehrschaos zum Inferno. Die Römer kennen diese Verhältnisse, nur hatten Raggi und die Fünf-Sterne-Bewegung versprochen, die darbende Hauptstadt in ein Idyll zurückzuverwandeln. Sichtbare Veränderungen gibt es 18 Monate später nicht, im Gegenteil. Wer also einen Beweis für den Dilettantismus der Grillini sucht, der weist auf die Verhältnisse in Rom.
Rom ist die Stadt, die den Wandel für das ganze Land bringen sollte und nun in alten Mustern erstarrt, unter Führung der Fünf-Sterne-Bewegung. Hier tritt auch das neu gewählte Parlament nach den Wahlen im März zusammen. Neubeginn oder Sintflut, das ist die Frage. Auch Cecconi hat ein gespaltenes Verhältnis zur Stadt. Vier bis fünf Tage pro Woche ist er in Rom, das Wochenende verbringt er in Pesaro mit seiner Frau und seinen beiden Kindern. Die Rückkehr gleicht jedes Mal dem Auftauchen aus einem Film. "Du wirst bequem", erzählt Cecconi über das Leben als italienischer Parlamentarier. "Du sitzt mit Leuten zusammen, die eigentlich deine Feinde sind. Aber du tolerierst sie, irgendwann spendierst du ihnen einen Kaffee und dann werden sie plötzlich Menschen wie du und ich." Das ist der Punkt, an dem es offenbar gefährlich wird für die Fünf-Sterne-Bewegung. Wenn das Anti-Establishment sich dem Establishment immer mehr angleicht.