Vordergründig minimalistisch präsentiert sich die neu gestaltete Österreich-Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Konzept und architektonische Umsetzung stehen - nun geht es an die Details.
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Wien. Kurz nach Ende des Grauens 1945 schien alles klar: der Dämon hieß Adolf Hitler, der Dämon hieß Nationalsozialismus und Österreich war sein erstes Opfer. Der Ort, der bis heute wie kein anderer als Synonym für die Vernichtungspolitik der Nazis steht, ist die südpolnische Stadt Oswiecim. Eine ehemalige Kaserne aus der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde in das Konzentrationslager Auschwitz umfunktioniert und fungierte ab 1940 als Stammlager. Nach und nach kamen Außenlager hinzu sowie schließlich das größte NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Mehr als eine Million Menschen kamen in Auschwitz zu Tode. Sie wurden ermordet oder starben an Hunger, Krankheit, Erschöpfung.
Die zeitliche Entfernung hat den Blick auf das Grauen von damals schärfer und differenzierter werden lassen. In Österreich hat, wenn auch erst nach Jahrzehnten, ein Paradigmenwechsel stattgefunden: weg vom Opfermythus hin zum Bekenntnis, Täter gewesen zu sein. Von diesem Bewusstsein war man allerdings 1978, als die erste Österreich-Ausstellung in der KZ Gedenkstätte Auschwitz gestaltet wurde, noch weit entfernt. Das darin präsentierte Geschichtsbild bedurfte daher inzwischen einer Überarbeitung.
1947 errichtete Polen im Stammlager des ehemaligen KZ Auschwitz ein staatliches Museum. Bis heute sind dort die Überreste dessen, was die hierher Deportierten mitbrachten, ausgestellt: Koffer, Schuhe, Kleidung, Spielsachen, Bücher, Gebetsschals, Brillen. In den 1970er Jahren erhielten alle Länder, aus denen die Opfer kamen, die Möglichkeit, Länderausstellungen zu gestalten. Österreich wurde dafür der Block 17 zugewiesen.
Im Eingangsbereich wurde eine Grafik gezeigt, auf der Soldatenstiefel über eine rot-weiß-rote Landkarte marschierten. Darüber stand: "11. März 1938: Österreich - Erstes Opfer des Nationalsozialismus". Spätestens seit der Erklärung des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky 1991 im Nationalrat, dass auch Österreicher an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt gewesen seien, konnte diese These öffentlich nicht mehr vertreten werden. 2005 entschloss man sich, ein Banner anzubringen, auf dem postuliert wurde, dass die Ausstellung nicht mehr dem politischen Selbstverständnis Österreichs entspreche. 2013 wurde die Ausstellung schließlich abmontiert. Bereits 2009 war der Nationalfonds mit der Koordinierung der Neugestaltung betraut worden. Das Ziel: das Geschichtsbild Österreichs in Bezug auf seine NS-Vergangenheit in zeitgemäßer Form zu vermitteln.
In einem zweistufigen Vergabeverfahren wurde zunächst ein Expertenteam rund um Kurator Hannes Sulzenbacher und Historiker Albert Lichtblau mit der Ausarbeitung des inhaltlichen Konzepts betraut. Der Zuschlag an die räumliche Umsetzung ging an den Architekten Kohlbauer. 2017 soll die neue Schau eröffnet werden. Das Gros der Planung steht. Details gilt es aber noch zu klären, wie ein diese Woche im Wien Museum von dessen künftigem Direktor Matti Bunzl moderierter Abend zeigte: darf zum Beispiel die Tafel, die Österreich als erstes Opfer bezeichnete, auch Teil der neuen Schau sein? Darüber entscheidet letztlich das staatliche polnische Museum.
Dieses setzt auch das Korsett fest, in dessen Rahmen sich das Ausstellungsteam zu bewegen hat: behandelt werden darf ausschließlich die Zeit bis 1945, wie Kuratorin Barbara Staudinger bei der Präsentation des Konzepts festhielt. "All das, was in Österreich nach 1945 passiert ist, hat in der Ausstellung keinen Platz."
Die Ausstellungsmacher haben sich für das Spiel mit dem Begriff "Entfernung" entschieden - so wird die neue Schau auch betitelt sein. Entfernung steht für die räumliche Distanz zwischen Auschwitz und Österreich, auch wenn dazwischen nur 289 Kilometer Luftlinie lägen, wie Nationalfonds-Generalsekretärin Hannah Lessing betonte. Entfernung denkt die zeitliche Distanz mit. Entfernung steht aber auch für das Töten der Menschen: die Opfer von Auschwitz, sie wurden aus dem Leben entfernt. Zurück bleibt Leere.
Neues in Block 17
600 Quadratmeter misst die für die Schau zur Verfügung stehende Fläche, der langgezogene, rechteckige Grundriss begrenzt den Handlungsspielraum. Zudem ist die Objektlage dürftig, wie Sulzenbacher betont. Was genau also ab 2017 in Block 17 zu sehen sein wird, steht noch nicht fest. Einig sind sich die Experten aber, dass sie den Besucher nicht mit Informationen überfrachten wollen. Diese hätten, wenn sie in die Österreich-Schau kommen, bereits die Gedenkstätte hinter sich und seien entsprechend erschöpft, so Lichtblau. Es gehe daher darum, einige wenige, eindringliche Geschichten darzustellen.
Erzählt werden sollen diese anhand von Objekten, die sowohl das Schicksal von Opfern, als auch die Verbrechen von Tätern dokumentieren. Herzstück der neuen Schau wird daher eine rautenförmige Anordnung von vier Wänden sein, die, so Kuratorin Birgit Johler folgenden vier Themen gewidmet sind: Aufbau des NS-Systems in Österreich/des Lagersystems in Auschwitz, Institutionalisierung des Nationalsozialismus in Österreich/des Vernichtungssystems in Auschwitz, individuelle Handlungsspielräume von Opfern und Tätern in Österreich/im KZ sowie Zusammenbruch des NS-Systems/des Lagers. In Vitrinen sollen die Objekte aus dem Hier, also mit Bezug zum ehemaligen KZ, zu sehen sein. Als Beispiel nannte Sulzenbacher die von den österreichischen Architekten Walter Dejanko und Fritz Ertl entworfenen Pläne für die Gaskammern oder eine ausgehöhlte Kleiderbürste, in welcher der Überlebende Hermann Langbein Opferlisten aufbewahrte. An die Wände werden Dinge projiziert, die mit dem Leben der Opfer, aber auch der Täter im Dort, also in Österreich, zu tun hatten. Betritt man die Raute, die sich durch die vier Wände ergibt, steht man in einem leeren Raum: nichts ist geblieben von den vielen, die hier den Tod fanden.
Kohlbauers Konzept denkt aber auch Kontinuität mit: neben der Tafel mit der Opferthese sollen auch die Glasfenster des Auschwitz-Überlebenden Heinrich Sussmann, etwa betitelt mit "Gaskammer" oder "In Flammen betender Jude", in die neue Schau integriert werden. Auch Lessing betonte die Wichtigkeit von Kontinuität: daher habe man die alte Ausstellung abgebaut und nach Österreich transportiert. Vor allem aber wurde sie in einem vom Nationalfonds herausgegebenen Band ausführlich dokumentiert.
Das Grauen auf Postkarten
Bei ihren Recherchen stießen die Kuratoren im Archiv der KZ-Gedenkstätte auf eine Sammlung von Zeichnungen des polnischen Auschwitz-Überlebenden Jan Kupiec, die das neue Ausstellungsthema "Entfernung" perfekt verkörpern. Nach der Befreiung zeichnete er auf die Rückseite von Postkarten mit Österreich-Motiven, was er in Auschwitz erlebt hatte. Auf die Schreibseite der Karte mit einer Ansicht des Schlosses Belvedere skizzierte er beispielsweise die Strafkompanie.
Für Staudinger ist das mehr als symbolhaft: die Postkartenidylle Österreich und das Grauen von Auschwitz waren nur durch ein Stück Papier getrennt. Mit einer Edition von 13 dieser Postkarten liegt nun ein Bindeglied zwischen alter und neuer Ausstellung vor. Die Publikation ist gegen eine Spende an den Verein Hemayat (Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden) erhältlich. Auch damit wird ein - trauriger - Bogen in die Gegenwart geschlagen. Krieg und Vernichtung gibt es auch nach Auschwitz.