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Neue, alte Werte

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Ein gesellschaftliches Phänomen wird zur Herausforderung für Europa: Sowohl am extrem linken als auch am extrem rechten Rand feiern antimuslimische und antisemitische Strömungen gemeinsam fröhliche Urständ’. Der Antisemitismus tarnt sich als Kapitalismuskritik ("Ostküste", etc.). Islamhetze dagegen wird camoufliert mit der Sorge um Sicherheit und mit Terrorangst.

Das führt dazu, dass islamische Gebetshäuser beschmiert und verwüstet werden. Und es führt in Frankreich gerade dazu, dass viele Juden das Land verlassen - aus berechtigter Furcht.

70 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau haben jüdische Mitbürger wieder Angst - und verlassen Europa.

Muslimische Asylsuchende aus Kriegsgebieten wie Syrien sind zwar gerade gekommen, doch auch sie haben Angst. Der Mord an einem jungen Afrikaner in Dresden zeigt, wie viele zivilisatorische Schranken schon gefallen sind.

Das ist beschämend und Europa nicht würdig. Dringend benötigt würde ein "Quantitative Easing" der Vernunft, Europa muss überschwemmt werden mit der Überzeugung, dass die Menschenrechte unteilbar sind.

Wie Kollegin Bettina Figl in der Freitag-Ausgabe der "Wiener Zeitung" richtig schrieb, braucht es an den Schulen einen Ethikunterricht, der den Jugendlichen Respekt vermittelt. Es braucht Arbeitgeber, die beim Vornamen Mohammed nicht reflexartig die Bewerbung ablehnen. Es braucht eine Politik, die Versöhnung und Verständnis höher schätzt als kurzfristige Vorteile versprechende Vorurteile. Es braucht auch in den Gotteshäusern Priester, deren einzige Mission Nächstenliebe ist.

Es braucht eine internationale Politik, die zum Beispiel auch den Saudis klarmacht, dass öffentliche Enthauptungen nicht toleriert werden und Sanktionen nach sich ziehen. Es braucht so viel, man weiß gar nicht, wo zuerst beginnen. Egal womit, aber dieser Weg muss beschritten werden. Europa kann nur bestehen, wenn es sich jener Werte besinnt, die schaffen statt zerstören. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie verstehe die Sorgen der Pegida-Demonstranten, doch die Art und Weise der Demonstrationen sei inakzeptabel. Das sollten alle sagen - und auch meinen. Nicht Gold macht die Regeln, sondern die Menschenrechte. Es sind nicht Geldschulden, die Europa in den Bankrott treiben können, sondern die Akzeptanz zerstörerischer Ideen.