Ein Blick über die regionale Berichterstattung hinaus würde nicht nur journalistische Mehrwerte bieten, sondern auch helfen, das Image des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verbessern.
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Am 1. Jänner beginnt im ORF eine neue Ära. Roland Weißmann und sein Team prägen ab dann die Zukunft der wichtigsten journalistischen und gesellschaftspolitischen Institution des Landes. Es gibt Handlungsbedarf in etlichen Bereichen des Hauses, um nun nach Jahren des Stillstandes endlich zeitgemäße Strukturen und Konzepte für die Zukunft des ORF zu suchen.
Weißmann hat dafür tatsächlich eine historische Chance: Diejenigen Türkisen, die ihn zur Bewerbung als ORF-Generaldirektor gedrängt haben, sind nicht mehr in Amt und Würden. Der frühere Medienverantwortliche im Bundeskanzleramt, Gerald Fleischmann, und Co reden bei den Rahmenbedingungen für die österreichische Medienwelt nicht mehr mit. "Message Control" hat ausgedient. Weißmann muss also niemandem dankbar sein für seine Wahl zum obersten Manager der wichtigsten Medieneinrichtung des Landes. Im Gegenteil.
Er könnte nun wie der Phönix aus der Asche steigen und - als einer, der so gerne als typischer "Mann der zweiten Reihe" gehandelt wurde - echte Strukturreformen im ORF angehen, die im unter seinem Vorgänger Alexander Wrabetz völlig erstarrten ORF und im Gefüge der politisch Beteiligten nicht vorstellbar gewesen wären.
Aus den ORF-Landesstudios zum Beispiel könnten journalistische Zentren für exzellenten Fachjournalismus entstehen. Schon lange leiden die lokalen Studios unter dem Vorwurf, immer nur den Interessen der jeweiligen Landeshauptleute gefällig zu sein. Das wird nicht zuletzt dadurch befeuert, dass die Aufgabenbereiche der Standorte in den Bundesländern sich bis auf wenige Ausnahmen auf die Berichterstattung über lokale und regionale Ereignisse zu beschränken haben.
Unabhängigkeit - auch von der Politik - erreicht man am besten durch Kompetenz. Warum also baut man nicht zum Beispiel in Innsbruck eine Produktionsstätte für Sportberichterstattung auf? Warum kreiert man nicht rund um das Ars Electronic Center in Linz nicht einen Wissenschafts- und Zukunftscluster? Warum übersiedelt die Kulturabteilung eigentlich nur rund um die Festspiele nach Salzburg? In Graz könnten die Europa-Agenden angesiedelt werden, in Niederösterreich ein Schwerpunkt für Kinder- und Jugendprogramme und in Eisenstadt, Klagenfurt und Dornbirn Bereiche aus der Arbeit für Volksgruppen, der Barrierefreiheit oder der Religion angesiedelt werden.
Auf Augenhöhe mit Wien
Dann hätten die ORF-Landesstudios neben ihrer ursächlichen und keineswegs minder zu schätzenden Arbeit rund um die Berichterstattung zum eigenen Bundesland auch noch ein zweites journalistisches Tätigkeitsfeld, in dem sie auf Augenhöhe der Zentrale in Wien entgegentreten und natürlich auch mit dieser kooperieren könnten. Dieser Gedanke der Dezentralisierung entspricht nicht nur den internationalen Entwicklungen, wie sie in den öffentlich-rechtlichen Paradesendern BBC und ARD inzwischen so gelebt werden, sondern es wäre auch eine vorbeugende Maßnahme gegen nicht zu erhoffende Folgen des zentralen Newsrooms und der Zusammenlegung der verschiedenen Gewerke Fernsehen, Radio und Online in den Fachredaktionen.
Nicht auszudenken, wenn eine ORF-feindliche Regierung, wie wir es unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache ja schon hatten, mit dem Austausch nur weniger Führungsredakteure die inhaltliche Ausrichtung des ORF verändern könnte. Die von Ex-General Wrabetz mit der Zustimmung des Stiftungsrates in die Wege geleiteten und baulich wie organisatorisch umgesetzten Zentralisierungsschritte innerhalb des ORF müssen unbedingt relativiert und wo immer sinnvoll möglich mit Alternativen abgefedert und aufgeweicht werden.
Sollte nun also die ORF-Landesdirektorinnen und -direktoren nicht nur dem jeweils eigenen Landeshauptmann und der Regionalberichterstattung, sondern eben auch einem fachjournalistischen Bereich verpflichtet sein, fiele es nicht nur dem Generaldirektor, sondern auch jeder neuen Regierung nicht mehr so leicht, mit wenigen Personalentscheidungen den ORF in welche Richtung auch immer umzufärben beziehungsweise potenziell gefügig zu machen.
Auch Schüler einbinden
Die bestehende technische und personelle Infrastruktur der Landesstudios - die es in dieser Dichte wohl in keinem anderen Land der Erde gibt - sollte darüber hinaus in den Bildungsbereich hineinwirken: Jede Schülerin und jeder Schüler sollte zumindest einmal im Laufe der eigenen Ausbildungszeit in einem der ORF-Landesstudios an der Gestaltung eines Beitrages mitgewirkt haben. Damit könnte in Zeiten der großen Gereiztheit in den Sozialen und in etlichen privaten Medien nächsten Generationen anhand konkreter journalistischer Arbeit vermittelt werden, was eine "sichere Quelle" ausmacht. Ganz abgesehen vom Imagegewinn für den ORF, der ja bekanntlich sowieso damit zu kämpfen hat, bei der jüngeren Bevölkerung schon lange nicht mehr das Alltagsmedium Nummer eins zu sein. Solche Bildungskooperationen mit Schulen würden die Jugend mit dem ORF und der Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertraut machen.
Die von Weißmann bestellten Landesdirektorinnen und -direktoren, wie Waltraud Langer (Salzburg), die in ihrer Tätigkeit als Verantwortliche für TV-Magazine ihre politische Unabhängigkeit oftmals bewiesen hat, oder auch Werner Herics (Burgenland), der schon bisher nicht davor zurückgeschreckt ist, seinem Landeshauptmann gegebenenfalls die Stirn zu bieten, haben ganz bestimmt die Qualifikation dazu, mehr für die Inhalte des ORF beizutragen, als bisher bei den Landesstudios nachgefragt wird.