Angst, Abgeschlagenheit, Fahrigkeit, Appetitlosigkeit oder sexuelle Unlust sind nur einige der typischen Verhaltensauffälligkeiten von depressiven Menschen. Bisher galt die Annahme, dass solches Verhalten durch vermehrt ausgeschüttete Stresshormone gesteuert würde. Doch jetzt hat Prof. Wolfgang Wurst vom GSF-Institut für Verhaltensgenetik in München/Neuherberg gemeinsam mit Forschern des Max-Planck-Insitutes für Psychiatrie, München, im Tierversuch zeigen können, dass das "depressive" Verhalten über genetische Faktoren vom Nervensystem beeinflusst wird.
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Damit bestätigen die Forscher erstmals nicht nur die Richtigkeit der bislang auf Spekulationen beruhenden Bemühungen zur Entwicklung neuer Medikamente gegen Angststörungen und Depressionen, die das Neuropeptid CRH hemmen sollen, sondern sie liefern gleichzeitig auch Ansätze für die Herstellung gezielt wirksamer Präparate.
Gut 20 Jahre ist es her, seit Wissenschaftler in der Gehirnflüssigkeit von Depressiven erhöhte Stresshormonspiegel nachweisen konnten. Damit lag die Idee nahe, dass depressives Verhalten über die von der Nebennierenrinde ausgeschütteten Stresshormone, allen voran Cortisol und Corticosteron, gesteuert würde. Angeregt wird die Stresshormonproduktion durch das in der Hirnanhangdrüse hergestellte Hormon Corticotropin. Aber auch zu dessen Freisetzung bedarf es eines Impulsgebers. Den liefert der im Zwischenhirn angesiedelte Hypothalamus in Form des Corticotropin freisetzenden Hormons CRH, das dann produziert wird, wenn der Körper unter Stress gerät.
Während beim gesunden Menschen dieser Gesamtprozess allmählich wieder herunter gefahren wird, läuft er bei Menschen mit Depressionen oder Angststörungen weiter auf Hochtouren. Das bedeutet, dass ihr Körper ständig von Stresshormonen überflutet wird. Daraus folgerten Wissenschaftler, dass CRH offensichtlich die Entstehung psychischer Krankheiten begünstigt, was Tierversuche letztlich auch zu bestätigen schienen. Wurst: "Mäuse, die eine Extradosis CRH erhielten, waren ängstlicher, fraßen weniger und waren sexuell weniger aktiv."
Folglich versuchte die Forschung die Bindungsstellen für das CRH-Hormon auszuschalten. Wiederum bei Mäusen konnte der dafür zuständige Crhr1-Rezeptor generell blockiert werden. Da diese Mäuse weniger verhaltensauffällig waren und gleichzeitig weniger Stresshormone produzierten, widmet sich die Pharmaindustrie seither der Entwicklung von Substanzen, die den Rezeptor immun gegen das CRH-Hormon machen.
Allerdings hat die Sache einen Haken: CRH ist auch notwendig, um in der Nebennierenrinde die Produktion von Stresshormonen zu regulieren. Die Blockade sämtlicher CRH-Bindungsstellen hat damit zur Folge, dass in seelischen Ausnahmesituationen die Stresshormonpegel nur langsam sinken, was wiederum - so wird vermutet - die Anfälligkeit für psychische Krankheiten erhöht. Wurst und seine Kollegen befassten sich deshalb mit der Frage, ob es möglicherweise solche CRH-Bindungsstellen gibt, die ausschließlich für das Verhalten zuständig sind, nicht aber für die Stresshormonregulierung.
Mäuse wurden mutig
Jetzt sind die Forscher fündig geworden. "Wir haben in Teilen des Gehirns, die für das Angstverhalten zuständig sind, in Zellen das Gen für den Crhr1-Rezeptor inaktiviert. Das heißt, dass außer in dieser Hirnregion das CRH-Hormon normal wirksam ist", erklärt er. Die so präparierten Mäuse sind wahre Draufgänger. Auch unter Stress, wenn die Hormonproduktion auf Hochtouren läuft, zeigen sie sich unbeeindruckt von Angstauslösern und bleiben cool und mutig.
Daraus folgert Wurst nun eben, dass Depressionen und ängstliches Verhalten vom Gehirn und nicht von der Stresshormonlage gesteuert werden. "Wir sind überzeugt, dass wir damit einen Ansatzpunkt gefunden haben, der die Entwicklung neuer Antidepressiva erlaubt." - Solche spezifisch im limbischen System des Gehirns ansetzende Substanzen ließen die Stresshormonregulation unbeeinflusst, würden gleichzeitig aber das Verhalten positiv beeinflussen.