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Neue deutsche Unübersichtlichkeit

Von Florian Hartleb

Gastkommentare

Ein Hauch von Österreich bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.


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Mitten in der Flüchtlingskrise waren knapp 13 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland zur Stimmabgabe aufgerufen. Nahezu jeder fünfte stimmberechtigte Deutsche durfte in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wählen. War das nun die von vielen beschworene Schicksalswahl für Kanzlerin Angela Merkel, ein Plebiszit über ihre umstrittene Flüchtlingspolitik?

Klar stellte am Superwahlsonntag die Bundespolitik die Landespolitik in den Schatten. Die erhitzte Debatte trieb die Wähler an die Wahlurne: Bei allen drei Wahlen schnellte die Beteiligung deutlich hinauf.

Besonders paradox in einer komplizierten Gemengelage: Die Amtsinhaber der Grünen und der SPD konnten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit ihrer vorbehaltlosen Unterstützung für den Kurs der Kanzlerin punkten. Die Kandidaten der CDU wurden dort hingegen abgestraft, auch weil sie zu Merkel in der Flüchtlingsfrage vorsichtige Distanz übten. Uneinigkeit stört im Wahlkampf.

Erstaunlich ist: Der liberalen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin haben sich alle anderen etablierten Parteien angeschlossen. Das spülte die AfD weiter in die Parlamente - denn diese stellte die einzige Möglichkeit dar, Protest auszudrücken. Deutliche Kritik übte nur die CSU, die ja nur in Bayern zur Wahl steht. Wir wissen aus Österreich: Für den Rechtsruck ist sicherlich auch der Einheitsbrei, die Kartellbildung der etablierten Parteien verantwortlich. Die AfD hat sich längst die FPÖ zum Vorbild genommen.

In Ostdeutschland blühen Unzufriedenheit und Protest, gerade auch bei der jungen Generation. In Sachsen-Anhalt gab es eine bedenkliche Denkzettelwahl: Die AfD kam aus dem Stand auf mehr als 24 Prozent und Platz zwei hinter der CDU - der beste Wert, den eine rechtspopulistische Partei jemals auf Landesebene in Deutschland erreicht hat. Viele einstige Nichtwähler liefen nun dort zur AfD über, wo in den vergangenen Monaten hässliche Übergriffe auf Flüchtlingsheime für Schockbilder gesorgt hatten.

So ununterscheidbar die etablierten Parteien in der Flüchtlingsfrage waren, so einig sind sie auch im Umgang mit der AfD: Diese sei nicht koalitionsfähig, ja eine Schande für Deutschland. Eine weitere Erkenntnis ist, dass sich auch keine klare Alternative zur großen Koalition im Bund auftut. Die SPD ist weit davon entfernt, wieder einen ernsthaften Herausforderer für die Kanzlerschaft zu stellen.

Alte Wählerloyalitäten und Parteibindungen zählen nicht mehr viel. Das zeigt sich besonders im konservativen Musterland Baden-Württemberg, wo die CDU das schlechteste Ergebnis ihrer stolzen 64-jährigen Geschichte einfuhr. Hier reichte ein grüner klassischer Landesvatertyp, dessen Personalisierungsstrategie aufging, um die strukturell weit überlegene CDU am Ende abzuhängen. Die Überschaubarkeit der alten Bundesrepublik mit klaren Lagern und politischen Mehrheiten scheint endgültig vorbei. Immerhin konnten aber die Liberalen, lange ein Stabilitätsgarant in der Bundesrepublik, ein Comeback feiern. Merkels Regierungsstil hat den wertkonservativen Teil der CDU schon vor der Flüchtlingsfrage heimatlos zurückgelassen. Ein Ende der Ära Merkel ist gleichwohl (noch) nicht eingeläutet. In der CDU schrillen dennoch die Alarmglocken, aber nicht nur da.

Florian Hartleb ist Politikberater, Mitarbeiter der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft und lehrt auch an mehreren Universitäten.