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Neue digitale Weltordnung

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die EU muss in Sachen IT auf eigenen Beinen stehen können.


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Donald Trump will eine neue digitale Weltordnung: Nach dem "Clean Network Program" sollen in den USA alle chinesischen IT-Produkte und Dienste verboten werden. Das betrifft Mobilfunk-Hardware-Infrastruktur, Apps, Cloud-Server und sogar Unterwasser-Glasfaserkabelnetze.

Gegen diese weitreichenden Pläne des US-Präsidenten wirkt das geplante Verbot der chinesischen Spaß-Video-App TikTok - beziehungsweise der erzwungene Verkauf an einen US-Softwarekonzern - geradezu harmlos.

Jahrzehntelang waren die USA der Proponent eines möglichst offenen Internets, und diese Politik hat den US-IT-Konzernen einen weltweiten Siegeszug beschert. Damit soll es nun aber offenbar vorbei sein: Die USA reihen sich in die Gruppe jener Länder ein (zu der auch Russland und China gehören), die nationale Silos gegenüber einer offenen Netzarchitektur den Vorzug geben.

Tatsächlich stellt Chinas IT-Macht eine Herausforderung für die USA dar. Aber Trumps Strategie wird nach hinten losgehen. Angenommen, die - vorwiegend von Jugendlichen genutzte - chinesische App TikTok stellt tatsächlich eine Bedrohung für den Datenschutz der US-Nutzer oder gar eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA dar: Besteht nicht dieselbe Gefahr für Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union und die nationale Sicherheit von EU-Nationen? Sollten die Europäer dann nicht ebenfalls TikTok - und dazu gleich Huawei - aus Europa verbannen? Aber was ist mit den US-Datenkraken wie Facebook, Google, Apple, Microsoft und Amazon? Immerhin ist seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden aus dem Jahr 2013 das Ausmaß von digitalen Überwachungs- und Spionagepraktiken der USA gegen Europa bekannt. Mit einem Verbot von TikTok und dem "Clean Network Program" schießt Trump also nicht nur gegen China, sondern liefert Regierungen von Schweden bis Indien, von Ägypten bis Südafrika, von Mexiko bis Chile gute Gründe, es den Amerikanern gleichzutun und die Datenkonzerne - egal, ob sie ihr Headquarter in Peking oder Palo Alto haben - härter an die Kandare zu nehmen. In dieser gar nicht so schönen, neuen Welt der nationalen Internet-Souveränität gehören die US-IT-Konzerne zu den großen Verlierern. Zugleich wäre der Traum vom Global Village damit ausgeträumt.

Was bedeutet diese Entwicklung für die EU? In Zukunft sind massive Investitionen in IT-Infrastruktur, Softwareentwicklung und Ausbildung notwendig. Denn der Kontinent muss in der im Entstehen begriffenen neuen digitalen Weltordnung auf eigenen Beinen stehen können, um im digitalen Konflikt zwischen den USA und China nicht völlig zerrieben zu werden.