Testlauf abermals fehlgeschlagen. | Bereits mehr als 60 Millionen Euro investiert. | Brüssel. Die Geschichte des Schengen-Informationssystems II (SIS II) ist eine Geschichte voller Pannen. Schon seit Herbst 2007 sollte die neue gemeinsame EU-Fahndungsdatenbank die Identifizierung von aufgegriffenen Personen anhand biometrischer Daten wie Fingerabdrücke möglich machen. Doch bis heute ist es dem französisch-belgischen Konsortium Steria/Hewlett Packard nicht gelungen, das neue EDV-System zuverlässig zu etablieren - die grenzüberschreitend tätigen Kriminellen bekommen weiteren Aufschub.
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Eine allerletzte Frist bis 29. Jänner hatten die EU-Innenminister im Herbst gesetzt; bis dahin sollte der Zentralrechner des SIS II endlich einmal für 72 Stunden laufen, ohne abzustürzen oder grobe Fehler bei der Verwaltung der Daten zu machen. Ansonsten sollte das bisher mindestens 60 Millionen Euro teure Projekt endgültig begraben werden. Dann müsste das schon seit Mitte der 1990er laufende SIS I aufgemöbelt werden. Denn die Speicherung und der Abgleich der biometrischen Daten sind im Kampf gegen das international organisierte Verbrechen unbedingt notwendig, wie es heißt. Wohl aber nicht vor Herbst 2012 wäre die Aufrüstaktion zu bewerkstelligen, so Schätzungen in Kommissionskreisen. Das dürfte auch die Briten nicht freuen, die zwar nicht voll an der EU-Polizeizusammenarbeit teilnehmen, aber für die olympischen Sommerspiele 2012 gerne auf die Schengendaten zugegriffen hätten.
Aus nach 24 Stunden
Immerhin 24 Stunden habe das SIS II beim letzen Testlauf im Jänner klaglos funktioniert, berichten Experten. Dann sei das System jedoch urplötzlich und ungeplant heruntergefahren. Woran das gelegen haben könnte, versuchen die Techniker derzeit herauszufinden. Nach ihren eigenen Beschlüssen haben die Mitgliedstaaten jetzt zwei Monate Zeit, um dem SIS II endgültig ihre Unterstützung zu entziehen. Diplomaten glauben aber, dass die Entscheidung rascher - noch im Februar - fällt.
Jedenfalls sei noch der Evaluierungsbericht des fehlgeschlagenen Tests abzuwarten. Sollte nicht das Zentralsystem selbst, sondern "äußerer Einfluss" wie etwa zugekaufte Datenbankkomponenten den Absturz verursacht haben, könnte der Probelauf auch noch einmal wiederholt werden, um zweifelsfrei die Arbeit von Steria/HP als Fehlerquelle zu identifizieren. Es mache keinen Sinn, Spielraum für Interpretationen offen zu lassen, hieß es.
Das endgültige Scheitern, das Diplomaten bereits im Herbst herannahen sahen, wäre für die EU-Kommission recht blamabel. 2007 wollte der damalige Innenkommissar Franco Frattini sogar die Schengen-Erweiterung stoppen, weil das SIS II so weit von einer Einsatzbereitschaft entfernt war. Nach massivem Protest der Polen, Tschechen, Slowenen und anderer wurde das SIS I schon damals ausgebaut. Bis dahin hatte es nur Anschlussmöglichkeiten für 18 nationale EDV-Systeme. Heute umfasst die grenzenlose Schengenzone alle EU-Länder außer Großbritannien, Irland, Bulgarien, Rumänien und Zypern; zusätzlich hängen die Polizeibehörden von Norwegen, der Schweiz und Island am Schengen-Netz.