Attentäter von Detroit wurde im Jemen ausgebildet. | Obama kündigt neue Offensive gegen Al Kaida an. | Sanaa/Wien. In Sanaa ertönt der Ruf des Muezzin bereits um vier Uhr früh, gellender und nachdrücklicher als in vielen arabischen Ländern. Der Islam ist im Jemen seit Jahrhunderten eine Richtschnur, die den gesamten Tagesablauf regelt; wenn die Zeit zum Gebet gekommen ist, fallen die Rollläden, steht der Verkehr still und ruht die Arbeit. | Osama bin Ladens brutalste Truppe | Nigeria - Kampf gegen islamische Sekte | Al Kaida kündigt neue Attentate an | Al Kaida bekennt sich zu Flugzeuganschlag
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Westliche Reisebüros preisen das Wüstenland als Geheimtipp, werben mit traumhafter Architektur, eindrucksvollen Märkten und pittoresken Oasen. Dennoch ist das Land, in dem 80 Prozent der männlichen Bevölkerung der Droge Quat verfallen sind, kein Paradies. Der gestürzte irakische Diktator Saddam Hussein gilt hier als Held, Osama bin Laden, dessen Familie nicht aus Saudi-Arabien, sondern aus dem Jemen stammt, hat zahlreiche Sympathisanten; die Taxifahrer schimpfen gewohnheitsmäßig auf Israel - einen Staat, der in jemenitischen Landkarten nicht einmal verzeichnet ist. Spätestens als Al Kaida im Jahr 2000 einen Sprengstoffanschlag auf das in der Hafenstadt Aden vor Anker liegende Kriegsschiff USS-Cole verübte, erfuhr die Öffentlichkeit in Europa, dass Al-Kaida-Terroristen ihre Zelte auch im Land der sagenhaften Königin Saba aufgeschlagen haben.
Für den Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab - er wollte am vergangenen Freitag eine US-Passagiermaschine über Detroit in die Luft jagen - ist der Jemen jedenfalls kein unbekanntes Land. Der 23-Jährige war nachweislich von August bis Anfang Dezember im Land an der Weihrauchstraße, bestätigt jetzt die Regierung in Sanaa. Er habe ein Visum erhalten, um arabisch zu lernen, heißt es hier. Glaubt man den US-Medien, so wurde Abdulmutallab im Jemen von Al Kaida zum Selbstmordattentäter ausgebildet, dort soll er den Sprengsatz für die spektakuläre Tat am ersten Weihnachtstag erhalten haben.
Perfekte Bedingungen für Terror-Camps
Die Bedingungen für Terror-Camps sind im Jemen ideal. Das Land besteht im Westen aus unzugänglichen, zerklüfteten Bergregionen, im Osten aus unwirtlicher Wüste, die von einem riesigen Tal - dem Wadi Hadramaut - durchbrochen wird. Die Zentralregierung in Sanaa ist schwach, Präsident Ali Abdullah Saleh gelingt es kaum, das Land zusammenzuhalten. Auch wenn er in Washington dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush lebhaft versicherte, den Kampf gegen den Terror konsequent voranzutreiben - es gelingt nicht.
Denn in den Provinzen regieren mächtige Stammesführer, die ihre Forderungen mit Nachdruck stellen. In der Vergangenheit wurden immer wieder Touristen entführt, um die Zentralregierung unter Druck zu setzen, die Fertigstellung von Infrastrukturprojekten zu beschleunigen oder Gefangene freizubekommen. Dazu kommt, dass die Regierung unter Saleh seit Jahren in einen blutigen Bürgerkrieg gegen schiitische Houthi-Rebellen im Norden verstrickt ist. Der Konflikt hat bereits tausende Tote gefordert und droht nun auf saudisches Territorium überzugreifen.
Zudem ist die Regierung mit Sezessionsbestrebungen im Süden konfrontiert. Der Südjemen war bis 1990 ein eigenständiges, kommunistisch regiertes Land, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom islamischen Norden übernommen wurde. Nachdem in der ehemaligen Volksrepublik Jemen seit 1967 Kopftuchverbot herrschte, Frauenarbeit gefördert und Religion zurückgedrängt wurde, gelten seit 1990 wieder Verschleierungspflicht und islamisches Recht. Normen, die von verhassten Sittenwächtern aus dem Norden überwacht werden. 1994 begann sich der Süden zu wehren, es kam zu einem blutigen Bürgerkrieg. In den letzten Jahren ist der Unmut unter der Bevölkerung erneut gewachsen.
Al Kaida hat die instabile Situation im Jemen in den letzten Jahren zu nutzen gewusst und sich im Süden der Arabischen Halbinsel ein Aufmarschgebiet geschaffen. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat in Detroit bekannte sich die im Jemen ansässige "Al Kaida auf der arabischen Halbinsel" zu dem Anschlag - und kündigte gleich weitere Taten an: Das "amerikanische Volk" müsse sich auf neue Attentate einstellen, heißt es in einer Internetbotschaft. "Ihr werdet bekommen, was ihr fürchtet", so die Warnung der Terroristen, der ein Foto des verhinderten Detroit-Attentäters beigefügt ist.
Dass die Zahl der Terror-Camps im Jemen zuletzt angewachsen ist, ist auch der CIA nicht verborgen geblieben. Washington geht davon aus, dass die lokalen Behörden das Problem trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht in den Griff bekommen. Eine unbekannte Zahl an US-Agenten ist deshalb in dem Land am Golf von Aden tätig. Am 17. und 24. Dezember bombardierte das jemenitische Militär Al-Kaida-Stellungen und will dabei mehr als 60 Terroristen getötet haben.
Der Anschlagsversuch in Detroit sei als Racheakt für die Militäraktion zu werten, so die Al Kaida in ihrem Bekenner-Video. In welchem Ausmaß die USA bei dem Militärschlag im Jemen ihre Finger im Spiel hatten, ist nicht geklärt. Anzunehmen ist, dass Washington großteils verantwortlich war. US-Senator Joseph Lieberman meinte zuletzt in einem Interview, die USA müssten mit "Sonderoperationen, Eliteeinheiten und Geheimdiensten" an Ort und Stelle tätig sein und ihre Präsenz im Jemen künftig verstärken.
Es gibt einen weiteren Grund, warum der Jemen verstärkt ins Fadenkreuz der USA gerückt ist: Der Amokläufer von Fort Hood, Nidal Hasan, ein palästinensischstämmiger Major, der Anfang November 13 Menschen tötete, soll in Kontakt mit einem im Jemen lebenden, radikalen Islamprediger gestanden sein.
US-Präsident Barack Obama hat jetzt in einer Rede deutlich gemacht, dass der Jemen im Kampf gegen den Terror neuer Frontstaat wird. Die Vereinigten Staaten würden dort und in Somalia künftig rigoroser denn je vorgehen, so der US-Präsident. Damit bringt er freilich Jemens ohnedies sehr geschwächten Präsident Saleh in eine prekäre Lage. Denn dessen Kooperation mit Washington ist im Jemen äußerst umstritten, der Hass auf den Westen, vor allem auf die USA, könnte rasch zunehmen und für weitere Instabilität und Terror sorgen.