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Neue Gaza-Hilfsflotte sorgt für Konflikt

Von Susanne Güsten

Politik

Israel schließt erneute Gewaltaktion nicht aus. | Istanbul. (apa)In wenigen Wochen wollen türkische und westeuropäische Aktivisten eine neue Hilfsflotte in den von Israel völlig abgeriegelten palästinensischen Gazastreifen schicken. Ein Jahr nach dem Tod von neun Menschen beim israelischen Angriff auf das türkische Gaza-Schiff "Mavi Marmara" in internationalen Gewässern soll auch das berühmt gewordene Flaggschiff wieder dabei sein.


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Eine erneute Eskalation droht. Die türkische Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan stellte bereits klar, dass sie ein Auslaufen des Schiffes keinesfalls zu verhindern gedenke. Man werde die Beteiligten lediglich vor möglichen Risiken warnen, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu. Sowohl Israel als auch die USA hatten ein Einschreiten Ankaras gefordert.

Die türkische Stiftung für Humanitäre Hilfe (IHH), die im Vorjahr mit der Gaza-Aktion Furore machte, wird derzeit von Freiwilligen bestürmt. 5000 Türken hätten sich für die Aktion Ende Juni bereits gemeldet, sagte IHH-Vorstandsmitglied Hüseyin Oruc. Am Ende werden nur etwa hundert Aktivisten tatsächlich an Bord genommen, doch das spielt keine Rolle. Die IHH will zeigen, dass die ganze Türkei hinter der neuen Aktion stehe.

Insgesamt 15 Schiffe an der Aktion beteiligt

Dabei ist die "Mavi Marmara" nur eines von 15 Schiffen, die sich in der letzten Juni-Woche im östlichen Mittelmeer zu der neuen Flottille zusammenschließen wollen. Die aus Westeuropa erwarteten Schiffe werden nach Angaben der Organisatoren mit Freiwilligen aus hundert Ländern an Bord Kurs auf Gaza nehmen. Die "Freiheitsflotte" des vergangenen Jahres bestand nur aus sechs Schiffen.

Einen neuerlichen israelischen Angriff erwartet IHH-Vorstand Oruc nicht. Angesichts der Kritik aus der ganzen Welt an der blutigen Kommandoaktion der israelischen Eliteeinheit "Shayetet 13" im vergangenen Jahr werde Israel "denselben Fehler nicht noch einmal begehen", sagte er. Sicher sein kann Oruc aber nicht. Nach Presseberichten bereitet sich die israelische Regierung darauf vor, auch die neue Hilfsflotte zu stoppen. Eine Erstürmung werde nicht ausgeschlossen.

All das spricht gegen eine baldige Erholung der türkisch-israelischen Beziehungen. Nach dem Angriff auf die "Mavi Marmara" hatte Ankara seinen Botschafter aus Israel abberufen - er ist bis heute nicht auf seinen Posten zurückgekehrt. Die Türkei verlangt von ihrem früheren Partner Israel eine offizielle Entschuldigung für den Angriff sowie Schmerzensgeld für die Familien der Opfer der Attacke in internationalen Gewässern.

Israel lehnt dies ab, weil es die Gaza-Aktivisten selbst für die Gewalt an Bord der "Mavi Marmara" verantwortlich macht. Israel stuft die IHH als extremistisch ein - die IHH selbst bezeichnet sich als rein humanitäre Organisation, die in Libyen genauso hilft wie in Gaza, wie Oruc sagte. Eine UNO-Untersuchung des israelischen Angriffs ist noch nicht abgeschlossen. Laut Pressemeldungen droht die Türkei damit, ihre Mitarbeit in der UN-Untersuchungskommission zu beenden, weil ein Entwurf des Abschlussberichts die israelische Aktion nicht eindeutig als Bruch des Völkerrechts verdamme.

Die USA sorgen sich schon jetzt um einen neuen Konflikt zwischen der Türkei und Israel, zwei wichtigen Verbündeten Washingtons im Nahen Osten. In einem Brief an Premier Erdogan baten 36 Kongressabgeordnete, Ankara möge die neue Gaza-Aktion doch bitte unterbinden.

Zumindest bis zu den türkischen Parlamentswahlen am 12. Juni wird Erdogan nicht mit sich reden lassen. Die Not der Menschen im Gazastreifen ist ein großes Thema in der Türkei, und Druck auf die IHH in dieser Sache könnte den Premier wichtige Stimmen kosten. Und so stellte sich Erdogans Kabinett auf den Standpunkt, es handle sich um die legale Aktion einer regierungsunabhängigen Organisation, in die sich die Regierung eines demokratischen Landes nicht einzumischen habe.

Ende der Blockadegefordert

Mit ihrer Solidaritäts-Flotille wollen die Aktivisten gegen die von Israel verhängte Blockade des Gazastreifens vor vier Jahren protestieren. An Bord haben werden sie unter anderem Nahrungsmittel, Rollstühle und Decken. Seit die Hamas im Juni 2007 die Kontrolle über den Küstenstreifen mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern übernommen hat, lässt Israel mit Ausnahme einiger Lebensmittel, Medikamente und einem schmalen Kontingent an Benzinkanistern fast nichts mehr durch. Es herrscht fürchterliche Armut, eine Million Menschen ist auf internationale Nahrungshilfe angewiesen. Obwohl die Vereinten Nationen die Blockade als völkerrechtswidrige Kollektivstrafe anprangerte und deren Ende forderte, fiel die Kritik der EU und USA an der israelischen Besatzungspolitik in Gaza bisher eher leise aus. Mit einem baldigen Ende ist nicht zu rechnen.