Zum Hauptinhalt springen

Neue Giganten auf der Überholspur

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Expansive Firmen stürmen die Spitze. | China und Indien schmieden ganze 53 Eisen im Feuer. | In den nächsten zehn Jahren werden sich die Umsätze versechsfachen. | Der chinesische Autoproduzent Geely, der saudische Chemieriese Sabic und der thailändische Öl- und Gas-Konzern PTT haben eines gemeinsam: Sie zählen zu einem elitären Zirkel von 100 rasant wachsenden Top-Konzernen aus Schwellenländern, denen eine große Zukunft vorausgesagt wird. | Giganten auf der Watchlist | Die Newcomer in der Topliga


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die weltweit tätige Berater-Group Boston Consulting hat diese Geheimtipps in ihrem kürzlich veröffentlichten Report "Companies on the Move" ausgewählt.

Die "Global Challengers" - die aufgelisteten Herausforderer - sind von 2000 bis 2009 jährlich im Schnitt um 18 Prozent gewachsen. Das ist die dreifache Geschwindigkeit von ihren Konkurrenten aus den USA, Europa und Japan. Der bereinigte Gewinn der Unternehmen aus den Schwellenländern wuchs in diesem Zeitraum ebenfalls um durchschnittlich 18 Prozent pro Jahr - demnach um sechs Prozentpunkte mehr als jene Konzerne, die der Standard&Poors-Index umfasst, der die größten 500 US-amerikanischen Unternehmen an der Börse bemisst.

Die Schwellenländer versorgen die Welt mit "aufstrebenden Sternen", wie Boston Consulting die Konzerne bezeichnet. Gemeinsam ist ihnen ihre Politik: Sie setzen vor allem auf die rasant wachsenden Mittelschichten in ihrer jeweiligen Heimat, die im Jahr 2020 bereits fast ein Drittel der Weltbevölkerung ausmachen wird. "Sie generieren in den lokalen Märkten ein gigantisches Wachstum", sagt David Michael, Berater bei Boston Consulting, "und die etablierten Multis werden sich sehr anstrengen müssen, um sich dort festzusetzen."

Umfangreiche Dealsin aller Welt

Die 100 Spitzenfirmen haben allesamt eine dynamische Expansion hinter sich und treten in aller Welt selbstbewusst auf. Seit 2000 haben sie für rund 650 Deals gesorgt, wobei 60 Prozent davon in den westlichen Kapitalismus-Hochburgen stattfanden. Im Durchschnitt ging es im Vorjahr pro Deal um 660 Millionen Dollar. Sie sorgten mit spektakulären Coups für breite Beachtung - die chinesische Lenovo etwa kaufte das PC-Business von IBM -, sie brachten schillernde Marken in ihren Besitz - Jaguar und Land Rover beispielsweise gehören der indischen Tata Group - und sie sind drauf und dran, mit den etablierten Playern ihrer Branchen um die Marktvorherrschaft zu kämpfen, sofern sie die nicht schon haben.

Der mexikanische Konzern Grupo Bimbo ist etwa bereits mit rund 100 Produktionsstandorten, mehr als 100.000 Mitarbeitern und 7000 Produkten der größte Bäcker der Welt.

Brasiliens JBS mit 140 Fertigungsstätten und 120.000 Beschäftigten ist der größte Fleischproduzent, und die in 19 Ländern präsente russische United Company Rusal gilt mit 76.000 Beschäftigten und einem 10-Prozent-Anteil am Weltmarkt als größter Aluminium-Produzent.

Insgesamt setzten die derzeitigen Top 100 im Jahr 2009 rund 1,3 Billionen Dollar um. Das ist noch gar nichts, verglichen mit dem, was sie schätzungsweise in zehn Jahren machen werden: nämlich bereits acht Billionen Dollar Umsatz. Jedes zweite von Boston Consulting ausgewählte Unternehmen könnte sich in den kommenden fünf Jahren einen Stammplatz im "Global 500"-Ranking des US-Magazins "Fortune" sichern. "Die Abgrenzung zwischen den jetzigen Champions und den Herausforderern wird immer verschwommener", sagt der indische BCG-Partner und -Studienautor Sharad Verma.

Die 100 hier zu Lande noch weithin unbekannten Parade-Konzerne stammen aus insgesamt 16 Ländern, darunter überraschend auch aus Südafrika, Indonesien, Argentinien, der Türkei und Ungarn. Die Bric-Staaten dominieren allerdings eindeutig: Die meisten "Global Challengers", nämlich jeden dritten, stellt die Volksrepublik China. Indien ist im Report der Boston Consulting Group mit 20 aufstrebenden Industriegruppen vertreten.

Unterstützung seitens der Regierungen

Als Dritter im Bunde mischt Brasilien mit 13 Top-Konzernen mit, die sich auf der Überholspur befinden. Auch wenn Russland nur sechs große Hoffnungen aufbieten kann, darunter Gazprom, sind diese nicht zu unterschätzen.

Beim Kampf um die Zukunft haben die großen Hoffnungsträger aus den rasant wachsenden Volkswirtschaften beträchtliche Vorteile: Zum einen agieren sie auf riesigen Heimmärkten, wo sie großteils von Politik und Banken strategisch unterstützt werden, weshalb sich dort etwa US- oder europäische Multis ungleich schwerer tun. Zum andern haben sie bei der Eroberung neuer Märkte wie etwa Afrika bessere Karten als die etablierten Rivalen, weil sie diese besser kennen und dank der weitaus niedrigeren Lohnkosten mit billigeren Produkten versorgen können. Auf Grund ihrer globalen Strukturen, der beträchtlichen Innovationskraft und stark gewordener Brands sind sie schließlich für die Schlacht um die Vorherrschaft in etlichen Branchen bestens gerüstet - im Wesentlichen geht es dabei um Rohstoffe wie Erdöl, fossile Treibstoffe, die Stahlindustrie, den Bausektor oder die Telekombranche.

Die Krise habenalle gut überstanden

Das Tempo, das die neue Multi-Generation bei ihrer Aufholjagd an den Tag legt, ist atemberaubend. So etwa hat der chinesische Autohersteller Geely einen kometenhaften Aufstieg geschafft: Erst 1986 vom heute 47-jährigen Li Shufu, dem Sohn eines armen Reisbauern, in Hangzhou gegründet, ist er in den letzten zehn Jahren rascher gewachsen als sämtliche chinesische Konkurrenten. Heute produziert der an der börsenotierte Konzern 300.000 Fahrzeuge jährlich und ist - obwohl die Marke gerne mit Billigprodukten minderer Qualität assoziiert wurde - bereits in 45 Ländern mit 500 Händlern und 600 Servicebetrieben präsent. Im Vorjahr hat sich Geely International unter großem Getöse die Marke Volvo gesichert.

Auch die Saudi Basic Industries Corporation (Sabic) hat eine rasante Expansion hinter sich: Als größter und profitabelster Konzern im Mittleren Osten hat sich die zu den fünf weltweit führenden Produzenten von Chemikalien zählende Gruppe unter Führung von Chairman Prinz Saud bin Abdullah bin Thunayan Al-Saud Sabic in 40 Staaten mit 60 Produktionsstätten festgesetzt. Der zu 70 Prozent der Saudi-Regierung gehörende Konzern setzte mit 33.000 Beschäftigten zuletzt 27,5 Milliarden Dollar um und kann die schlimme Krise, die ihm 32 Prozent minus beim Umsatz und 59 Prozent Einbruch beim Gewinn beschert hatte, bereits wieder vergessen. Beträchtliche Zuwachsraten im Vorjahr untermauern seine kommerziell höchst solide Position der Stärke.

Manche der 23 Newcomer, die von Boston Consulting erstmals berücksichtigt wurden, haben indes so wie die China State Construction Engineering - im Gegensatz zu den meisten westlichen Multis - selbst das Krisenjahr 2009 ohne Schrammen überstanden: Der chinesische Baugigant steigerte seinen Umsatz um 28 Prozent auf 38 Milliarden Dollar und den Gewinn um stolze 140 Prozent auf 838 Millionen Dollar.

Mit 112.000 Mitarbeitern rangiert er im "Fortune"-Ranking der "Global 500" auf Platz 187. Auf Rang 155 liegt der in Staatsbesitz befindliche größte Konzern Thailands, die Öl- und Gas-Gruppe PTT in Bangkok. Mit derzeit 46 Milliarden Dollar Umsatz vorerst noch zwei Klassen hinter den Branchenriesen - aber das könnte in zehn Jahren schon ganz anders aussehen.

Die Champions der Zukunft

China stellt mit 33 Top-Konzernen jeden dritten "Global Challenger". Allerdings zählen nicht die absoluten Umsatz-Giganten Chinas - wie Sinopec, State Grid oder China National Petroleum - zu dem erlauchten Kreis, sondern durchwegs umsatzmäßig kleinere Konzerne wie die Sinochem Group, China State Construction Engineering, Baosteel, Huawei Technologies und die Aluminium Corporation of China. Auch altbekannte wie der Elektrogerätehersteller Haier, der Computerkonzern Lenovo sowie die Autoproduzenten Chery und Geely sind dabei.

Indien kann unter anderem die Reliance Industries aus Mumbai, mit 41 Milliarden Dollar umsatzmäßig die Nummer zwei am Subkontinent, aufbieten, aber auch das Konglomerat Tata, das mit sechs Mitgliedern im Spitzenfeld liegt - beispielsweise mit Tata Steel, Tata Motors oder Tata Chemicals. Auch Bajaj Auto und Lupin Pharmaceuticals haben das Zeug, sich mit einer tollen Performance an die Weltspitze zu drängen.

Brasilien wiederum hat, abgesehen vom Ölgiganten Petrobas, mit 92 Milliarden Dollar Umsatz die Nummer eins im Lande, 12 absolute Geheimtipps im Rennen. Als stark gelten etwa der Kosmetikspezialist Natura, die auf Bettwäsche spezialisierte Textilgruppe Coteminas oder der Luftfahrtkonzern Embraer einzuschätzen. Er gilt schon jetzt nach Boeing und Airbus ex aequo mit der kanadischen Bombardier weltweit als Nummer drei.

Aus Russland sind zwar bloß sechs Top-Konzerne wie Gazprom, Lukoil und Severstal, neuerdings auch Norilsk Nickel mit von der Partie, doch mit diesen wird laut Boston Consulting künftig sehr zu rechnen sein: Die Russen haben im letzten Jahrzehnt weltweit immerhin rund 150 große Deals gelandet.

Die restlichen Superfirmen sind in Mexiko (sieben), in Thailand (vier) sowie in Südafrika, den Emiraten, Saudiarabien, Ägypten, der Türkei, Chile, Argentinien, Malaysien, Indonesien und Ungarn daheim.