Die türkische Regierung will nichtmuslimischen Stiftungen Immobilien rückerstatten, die der Staat einst konfisziert hat.
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Seine Schätze breitet Diyarbakir nicht alle gleich vor dem Besucher aus. So manche jahrhundertealte Kirche versteckt sich hinter einer Mauer, die dem Fremden keinen Zutritt zu gewähren scheint. Das Gotteshaus steht dann nicht selbstbewusst und von weitem sichtbar auf einem offenen Platz, den alle betreten können. Wer es sehen möchte, muss an einer Tür klingeln, warten, bis diese einen Spaltbreit aufgemacht wird, und darum bitten, die Kirche besichtigen zu dürfen. Manchmal ist es ein Kind, das, mit einem rostigen Schlüssel ausgestattet, mit dem Besucher geschickt wird, manchmal ein alter Mann.
Vor hundert Jahren noch lebten mehr Christen als Muslime in Diyarbakir, einer Stadt im Südosten der Türkei, etwas mehr als hundert Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt. Die Armenier und die syrisch-orthodoxen Assyrer bauten dort ihre Häuser, Kirchen und Schulen. Der Klang der Glocken und der Ruf des Muezzin wechselten einander ab.
Doch die meisten Christen sind nun weg, fortgegangen oder vertrieben. Nur noch in einer Kirche werden regelmäßig Messen gelesen für die paar Familien, deren Vorfahren ihre Stadt nicht verlassen wollten. Andere Gebäude verfallen, einige von ihnen sollen nun renoviert werden. Die Kirche Surp Giragos wurde bereits mit viel Aufwand - und unter anderem Spenden von Istanbuler Armeniern - restauriert. Im Oktober soll es einen Fest-Gottesdienst dort geben.
In Istanbul, in Diyarbakir und in so gut wie jedem Städtchen im Südosten der Türkei haben Christen ihre Spuren hinterlassen. Als hunderttausende Armenier vor knapp hundert Jahren auf ihre Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt wurden, mussten sie ihr Hab und Gut zurücklassen. Als zehntausende Griechen in den 1950er Jahren nach pogromähnlichen Ausschreitungen aus Istanbul flohen, wurden ihre Geschäfte konfisziert. Als die Assyrer vertrieben wurden, wurden ihre Häuser besetzt.
Jahrzehnte nach den Enteignungen will die Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan nun zumindest einen Teil des Besitzes zurückgeben. Ein Erlass regelt die Rückerstattung von konfiszierten Immobilien an nichtmuslimische Stiftungen. Diese haben nun ein Jahr Zeit, ihre Anträge zu stellen. Wo eine Rückgabe vom Staat nicht möglich ist, weil der Besitz an Dritte weiterverkauft wurde, soll es eine Entschädigung zu Marktpreisen geben.
Es geht vor allem um Immobilien, die nach 1936 erworben wurden, nachdem alle Stiftungen - auch die muslimischen - eine Vermögensdeklaration abgeben mussten. Die Regelung von damals verbot ihnen dann den Kauf von Gebäuden. Doch kam das Gesetz zunächst nicht zur Anwendung - bis in die 1970er Jahre, als die Zypern-Krise mit dem Einmarsch türkischer Truppen auf die Insel zu ihrem Höhepunkt gelangte. Der türkische Staat konfiszierte Immobilien, deren Wert sich auf Milliarden Euro beläuft. Danach klagten Stiftungen mehrmals vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - und bekamen Recht gesprochen.
Zu den Immobilien, die nun rückerstattet werden könnten, gehören Schulen, Spitäler, Häuser, Geschäfte, Friedhöfe und sogar ein paar Nachtklubs. Die Gemeinschaften, denen sie gehören, sind mittlerweile stark geschrumpft: Von den 73 Millionen türkischen Bürgern sind nur noch an die 100.000 Menschen Christen und rund 25.000 Juden.
So leben lediglich etwa 65.000 Armenier im Land. Und von den Istanbuler Griechen, die einst das Bild der Stadt wesentlich geprägt haben, sind dort nicht einmal mehr 3000 Menschen übrig.