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Neue Hürden für den EU-Beitritt

Von Martyna Czarnowska und Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Deutschland könnte die geplante Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei verzögern. Sie werde dies zum Wahlkampfthema machen, kündigte die CDU/CSU an. Ankara pocht auf die Beschlüsse des Europäischen Rates. Doch nach einem politischen Wechsel in Berlin würde die Türkei einen ihrer wichtigsten Unterstützer auf dem Weg in die EU verlieren.


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Vor einem halben Jahr noch sah es für Ankara gut aus. Im Dezember wurde der langersehnte Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen fixiert - nicht zuletzt durch den persönlichen Einsatz des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Zwar wurden der Türkei etliche Bedingungen auf den Weg gegeben, doch der Fahrplan schien zu stehen.

Doch nun sieht sich die türkische Regierung mit einer neuen Situation konfrontiert. Vorgezogene Neuwahlen in Deutschland, ein innenpolitisch angeschlagener Kanzler und CDU-Vorsitzende Angela Merkel als mögliche künftige Regierungschefin: Der EU-Beitritt der Türkei wird in Frage gestellt. Und auf einmal steht wieder das Schlagwort von der privilegierten Partnerschaft im Raum.

Für dieses Konzept - statt einer Mitgliedschaft der Türkei - hatte Merkel schon im Vorjahr geworben. Gestern, Donnerstag, brachte sie es auf dem evangelischen Kirchentag in Hannover erneut ins Gespräch. Sie werde alles daran setzen, der Türkei "diesen Weg schmackhaft zu machen", erklärte Merkel.

Für die EU-Kommission kommt dies nicht in Frage. Die Behörde habe den klaren Auftrag von höchster politischer Ebene der Mitgliedsstaaten, den Verhandlungsstart per 3. Oktober vorzubereiten, betont die Sprecherin von Erweiterungskommissar Olli Rehn. Klar seien auch die Bedingungen für die Türkei. Das Zusatzabkommen zum so genannten Ankara-Protokoll muss noch vorher unterzeichnet werden. Damit wird die Zollunion auf die zehn neuen EU-Mitgliedsländer inklusive Zypern ausgeweitet. Ebenso muss ein Legislativpaket ratifiziert werden, das etwa eine Strafrechtsreform beinhaltet. Dies soll nach zweimonatiger Verschiebung am 1. Juni geschehen.

Schon einmal vertagt

Damit sei es jedoch längst nicht getan, betonen CDU-Europaparlamentarier. Bereits 2002 sei die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen in Kopenhagen vertagt worden. Damals seien klare Bedingungen formuliert worden, die weiterhin Gültigkeit haben. Eine funktionierende Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Garantie der Menschen- und Minderheitenrechte seien unverzichtbar, formuliert es die CDU-Türkeiexpertin Renate Sommer vage.

Ein zusätzliches Argument könnte den Skeptikern die Absage einer Historiker-Konferenz zu den Massakern an Armeniern im Ersten Weltkrieg liefern. Der türkische Justizminister Cemil Cicek hatte die Teilnehmer der an der Istanbuler Bosporus-Universität geplanten Veranstaltung des "Verrats" bezichtigt. Das Treffen wurde verschoben.

Offiziell sieht die Türkei trotz wachsender Kritik keinen Grund zur Sorge auf ihrem Weg in die EU. Für die Aufnahme der Beitrittsgespräche gibt es aber noch zwei Hürden. Erst müssen die EU-Regierungen dem Verhandlungsrahmen zustimmen, den die Kommission gerade ausarbeitet. Dann sollen die Außenminister noch die Erfüllung aller Vorbedingungen positiv beurteilen, um endgültig grünes Licht zu geben. Beides muss einstimmig geschehen. Beim zweiten Treffen könnte der Türkei-Unterstützer Schröder bereits abgewählt sein.