Der Wiener Immunpathologe Rudolf Valenta arbeitet an einem Impfstoff, der dauerhaft gegen Sars-CoV-2 wirken soll.
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"Wiener Zeitung": Derzeitige Corona-Impfstoffe schützen vor schweren Verläufen, aber nicht zuverlässig vor Ansteckung mit Sars-CoV-2. Warum ist das so schwer zu machen?
Rudolf Valenta: Respiratorische Viren verhalten sich anders als etwa Masern oder Mumps, wo eine einzige Impfung lebenslange Immunität ermöglicht. Als Sars-CoV-2 Anfang 2020 begann, ging man davon aus, dass die Pandemie nach einer Impfung erledigt wäre. Aber das ist natürlich nicht so, denn auch zahlreiche andere Atemwegsinfektionen kommen alle Jahre wieder.
Damit Sars-CoV-2 sich nicht im Körper vermehren und weitergegeben werden kann, müssen Antikörper verhindern, dass es in die Zellen eindringt. Wie geht Ihr Impfkonzept das Problem an?
Sars-CoV-2 dockt mit seiner Rezeptor-Bindungsdomäne an die Zelle an und dringt über den ACE-2-Rezeptor in sie ein. Eine Impfung sollte das unterbinden, doch die erste Generation von genetischen Impfstoffen, die wir verwenden, induziert solche Antikörper, die das verhindern, nur beschränkt. Über die Vektor- und mRNA-Impfstoffe erhält der Körper die Information, wie er Antikörper selbst herstellen kann, doch man weiß nicht im Vorhinein, wie viel Antigen er produzieren wird. Auch können die produzierten Antigene im Körper zirkulieren, was der Grund für Nebenwirkungen sein könnte, die man mit anderen Impfstoffen nicht beobachtet hat. Auf der anderen Seite des Spektrums sind zehn bis 20 Prozent der mRNA- und Vektor-Geimpften genetisch nicht in der Lage, eine Immunität auf das Impf-Antigen auszubilden. Außerdem wurden diese ersten Impfstoffe auf Varianten bis Delta zugeschnitten, die sich ähnlich sind. Omikron aber hat sich in der Rezeptor-Bindungsdomäne so deutlich verändert, das selbst durch drei Stiche Geschützte infiziert werden.
Impfgegner behaupten, dass mRNA-Impfungen entweder nicht wirken oder unkalkulierbare Risiken bergen. Haben sie doch recht?
Die erste Generation der Covid-Vakzine hat uns sehr geholfen, weil die Zahl der Todesfälle stark zurückgegangen ist. Skeptiker berufen sich jedoch auch auf ein Korn Wahrheit, allerdings ist es wie beim Fliegen: Flugzeugabstürze sind die absolute Ausnahme, aber wenn eines abstürzt und jemand stirbt, erzeugt das Angst. In Wahrheit gibt es nur wenige Impfgegner, aber viele Leute, die Angst haben. 90 Prozent derer, die heute nicht gegen Sars-CoV-2 geimpft sind, tun es aus Furcht, nicht, weil sie Berichte über schwere Nebenwirkungen gelesen haben. Und das hat es ja wirklich gegeben, wenn auch selten, aber man kann es nicht wegdiskutieren. Bei gängigen Hepatitis- oder FSME-Impfungen passiert so etwas jedoch nicht, sondern da bleibt bis auf eine Reaktion um den Einstich nichts.
Sie arbeiten an einer Impfung, die in präklinischen Tests vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 schützte und sich als sicher erwies. Was machen Sie anders?
Bei dieser klassischen Technologie stellt man das Impf-Antigen zumeist künstlich her. Geimpfte erhalten keine Information, wie sie das Antigen selbst herstellen können, sondern einen Protein-Baustein. Es ist kein Totimpfstoff, sondern wir haben aus dem Spike-Protein von Sars-CoV-2 im Labor genau den Teil herausgenommen, mit dem das Virus an die Zelle bindet. Das Antigen regt die Produktion von Antikörpern an, die verhindern, dass Sars-CoV-2 eindringt. Und um fix sicherzustellen, dass die Impfung wirkt, haben wir ein Helfer-Eiweiß mit eingebaut. Dabei handelt es sich um einen Baustein aus dem Hepatitis-B-Virus, der die Gedächtnis-T-Zellen auf den Plan ruft - man nennt das Impfkraftverstärker.
Außerdem wissen wir genau, wie viel Antigen wir verabreichen, das im Gewebe abgesetzt wird und nicht zirkulieren kann, sondern an der Injektionsstelle bliebt. Schwere systemische Nebenwirkungen, wie Embolien, sollte es nicht geben. Impfstoffe nach diesem Prinzip sind für viele Infektionserkrankungen seit Jahrzehnten in Verwendung, etwa gegen Hepatitis oder FSME. Wir gehen daher von einem guten Sicherheitsprofil aus.
Derzeitige Corona-Impfungen wirken für etwa vier bis fünf Monate. Ist es bei Ihrem anders?
Der Antikörperschutz flacht natürlich auch bei unserer Impfung mit der Zeit ab. Er besteht aus kurzfristigen Immunglobulinen der Klasse G, die wieder verschwinden, und längerfristigen, die sich aufbauen können. Als Quereinsteiger aus der Allergen-spezifischen Immuntherapie weiß ich, dass ein Stich nicht reicht, um Betroffene dauerhaft gegen Allergene zu schützen. Wenn man die Bevölkerung nachhaltig gegen Covid-19 schützen will, muss man zwei Injektionen pro Jahr geben. Da das Virus von Herbst bis Frühjahr besonders virulent ist, wäre eine Auffrischung knapp vor dem Herbst, damit man den Antikörperschutz wieder hochbringt, und ein Booster im Dezember logisch, um sicher zu sein, dass die Person in der kritischen Zeit geschützt ist.
Zurück zur Frage: Warum so oft?
Es ist ähnlich wie bei der allergenspezifischen Immuntherapie. Von Menschen, die man mit bis zu 20 Injektionen pro Jahr gegen Allergene impft, weiß man, dass die Behandlung dann ausgesetzt werden kann, weil sich langfristige Immunglobuline gebildet haben. Wir hoffen, dass das auch bei Sars-CoV-2 so sein wird. Aber es muss klar sein, dass man bei dieser Erkrankung Auffrischungen brauchen wird, um die Bevölkerung von Sars-CoV-2 befreien zu können. Diese sterilisierende Immunität entsteht nur bei Menschen, die noch so viele Antikörper haben, dass das Virus nicht in die Zellen eindringen kann. Wenn man es also ganz loswerden will, wird man versuchen, in seiner Population diese sterilisierende Immunität aufzubauen, indem man einen geeigneten, sicheren Impfstoff richtig einsetzt und die Wirkung kontrolliert. Das heißt, man muss ein mehrjähriges Konzept haben, um es auszurotten.
Um Polio und Pocken auszurotten, haben sich die Länder zusammengetan. Müsste das bei Corona ähnlich gehandhabt werden?
Ich wäre schon sehr froh, wenn wir das in Österreich umsetzen könnten, das wäre immerhin ein Anfang. Große Konzerne stellen Impfstoffe her und verkaufen sie. Aber es gibt Länder wie Argentinien, Kuba oder die Türkei, die ihre eigenen Vakzine erzeugen, nicht um einen großen Markt zu bedienen, sondern um ihre Bevölkerung zu schützen, ähnlich wie wenn man genug Masken erzeugt.
Österreich hat ein im Europa-Vergleich hohes Forschungsbudget, das gute Grundlagenforschung ermöglicht. Bei der Entwicklung von Anwendungen sieht es anders aus: Es fehlen finanzkräftige Unternehmen, innovative Produkte werden von globalen Konzernen übernommen.
Insbesondere bei Medikamenten vergeben wir, aber auch die EU, Kernkompetenzen an Pharma- und Industriekonzerne, von denen wir nur zurückbekommen, was sie uns geben wollen. Zu den Kernkompetenzen eines Landes zählt aber auch, die Bevölkerung zu ernähren und die Kranken zu pflegen und man braucht Medikamente und Energie. Europa hat manche Kernkompetenzen auf mehreren Ebenen ausgelagert.
Wie wollen Sie Ihre Impfung entwickeln und umsetzen?
Um in die erste klinische Studie zu kommen, müssen wir den Impfstoff unter bestimmten Bedingungen herstellen und eine Doppelblind-Studie machen, der Kostenpunkt sind zwei Millionen Euro. Dann brauchen wir 400 bis 500 Probanden, um zu prüfen, ob er genau so sicher ist, wie wir in den vorklinischen Studien im Tierversuch sehen. Dann folgt eine Zulassungsstudie mit 5000 Menschen, um die Impfung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde registrieren zu können, für 20 Millionen Euro. Ist das wirklich so viel für einen sicheren, eigenen Impfstoff in Europa, der das gesamte Spektrum der Virusvarianten abdecken kann, von Wuhan über Delta bis Omikron? Wir haben unser Vakzin so konstruiert, dass das Antigen sogar neue Omikron-Subvarianten, wie BA.4 oder BA.5., bekämpfen kann.
Könnten Sie auch für künftige Varianten vorbauen?
Mit unserer Impfung könnten wir alle Varianten abdecken, indem wir die Rezeptor-Bindungsdomäne austauschen, selbst wenn noch eine weitere große Version von Sars-CoV-2 entsteht. In Wahrheit muss man sich jedoch überlegen, welche Variante jetzt für die nächste Saison aufkommt. Omikron hat sein Spektrum ziemlich ausgenützt. Mehr Sorgen macht mir, dass Delta zurückkehrt, gerade wenn die Hersteller Omikron-Impfungen ausliefern.
Was erwarten Sie für den Herbst?
Ich rechne im schlimmsten Fall mit einem Chaos. Der günstigste Fall wäre eine Virusvariante, die weniger tödlich ist. Dann würden die Zahlen hinaufgehen und viele glimpflich davonkommen, und die Intensivbetten wären nicht stark belegt. Dennoch wird es viele treffen - etwa funktionieren derzeitige Impfstoffe bei manchen Krebspatienten ganz schlecht. Unschöner wäre es, wenn eine der alten Varianten zurückkehrt, der Impfschutz jedoch dann so weit abgefallen wäre, dass eine schwerere Varianten uns wieder hart trifft.
Wie kann man gegensteuern?
Ich würde mir wünschen, dass wir an einem Konzept arbeiten, wie wir als Bevölkerung mit dem Problem umgehen und uns vorbereiten können. Wir könnten etwa Immunglobuline herstellen für infizierte Hochrisikopatienten. Derzeit verkaufen die Pharmafirmen nur monoklonale Antikörper, die gegen neue Varianten wenig ausrichten. Man kann aber aus Seren von Konvaleszenten oder Geimpften, die hochneutralisierende Antikörper haben, Immunglobuline gewinnen, einfrieren und auf Lager legen. Diese Methode ist bekannt und anders als monoklonale Antikörper nicht teuer.
Welche Strategie sehen Sie derzeit?
Im Moment sind alle froh, dass wir nicht mehr PCR testen und die Zahlen runtergehen und die Intensiv-Stationen nicht voll sind. Das sind die Faktoren, an denen Maßnahmen gesetzt werden, und die Wirtschaft will aus der Periode der Schließungen raus. Die Gültigkeit des Grünen Passes aber mangels neuer Impfung einfach zu verlängern, wird uns nicht weiterbringen. Entsprechende Tests würden ergeben, dass 30 Prozent der Leute heute keine schützenden Antikörper mehr haben. Wir müssen uns das Worst- und Best-Case-Szenario vorstellen und uns darauf bestmöglich vorbereiten.
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