Wien. "Wichtig ist, dass sich muslimische Kinder in Europa heimisch fühlen." Ednan Aslan bildet als Professor für Islamische Religionspädagogik an der Uni Wien künftige Islamlehrer für Österreichs höhere Schulen aus. Am Donnerstagabend forderte er in einem Vortrag im Juridicum die Entwicklung eines "Islams europäischer Prägung". Das eben eingeführte Masterstudium der islamischen Religionspädagogik sei hierfür eine Chance.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Viele Fragen der Gegenwart versteht der Islam noch nicht", bekannte Aslan eingangs. "Der Islam wollte nie, dass Muslime in einem nicht-islamischen Land als Minderheit leben." Viele islamische Gelehrte seien daher der Ansicht, Europas Muslime müssten, um ihre Religion authentisch zu leben, in ihre Heimatländer zurückkehren.
"Wir müssen uns von unserer Altlast befreien"
Um ein Islamverständnis zu entwickeln, das mit der europäischen Wirklichkeit kompatibel ist, seien Änderungen in der islamischen Theologie nötig. Zu den Problemen, für die der islamischen Welt noch immer das Verständnis fehle, gehöre etwa der Säkularismus. "Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die nicht sehr religiös ist." Aslan sieht im Säkularismus zwar keinen Widerspruch zum Islam, aber eine Herausforderung für Muslime, die zu Korrekturen führen wird: "Wir müssen uns von unserer Altlast befreien."
Aslan plädierte dabei für ein "hermeneutisches" Textverständnis des Korans. Die Quellen des Islams (Koran und Sunna) seien zwar unveränderbar, man könne sie aber unterschiedlich interpretieren. Man dürfe einige Textpassagen nicht wörtlich, sondern müsse sie im historischen Kontext und mit Rücksicht auf die jetzige pluralistische Gesellschaft lesen.
Dass das nicht immer einfach ist, veranschaulichte Aslan mit Textstellen, die im Hinblick auf die Stellung der Frau brisant sind: "Die Mehrheit der Hölle besteht aus Frauen." Und: "Lass die Frauen nicht in den oberen Stockwerken wohnen, lass sie nicht schreiben und lesen lernen, sie sollten Wolle spinnen." Aslan bekannte, dass noch viele Fragen offen sind. Aber: "Wir müssen den Mut aufbringen, diese Dinge offen anzusprechen. Das ist eine pädagogische Herausforderung."
"Pionierarbeit für Europa und islamische Welt"
Dass der Islam in Österreich offiziell anerkannt ist, sei eine echte Chance für islamische Reformbemühungen. "Die schwierigen Fragen werden in den Moscheen nicht gestellt." An der Uni Wien sind zusätzlich zur Lehrerausbildung auch noch islamische Forschungsprojekte und die Entwicklung neuen Lehrmaterials geplant. "Wir leisten Pionierarbeit für Europa und die islamische Welt."
Seit 1980 wird islamischer Religionsunterricht an Österreichs Schulen angeboten. Zurzeit unterrichten 350 Islamlehrer an 2100 Schulen. Die Zahl der Schüler, die den Islamunterricht besuchen, stieg von etwa 45.000 im vorigen Jahr auf 48.000 in diesem Schuljahr.