Die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Staaten haben zum Abschluß ihres Wiener Gipfels am Wochenende die Beschäftigungspolitik zur Top-Priorität erklärt und die heißen Eisen EU-Reform, | Finanzen sowie Erweiterung an die deutsche Präsidentschaft weitergereicht. Der befürchtete offene Konflikt zwischen den Nettozahlern und den Nettoempfängern im Süden Europas konnte vermieden werden.
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Der Wiener Gipfel endete mit der Einigung darauf, daß das Reformpaket Agenda 2000 bis zu einem Sondergipfel unter deutscher Präsidentschaft fertiggestellt werden soll. Im ersten Halbjahr 1999 soll
auch ein Beschäftigungspakt ausformuliert werden. Die Erweiterung will die finnische Präsidentschaft im zweiten Halbjahr in den Mittelpunkt stellen.
Als "Gipfel der Offenheit, der Harmonie und der Weichenstellungen" bezeichnete Bundeskanzler Viktor Klima das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag und Samstag in der Wiener Hofburg.
Der Präsident des Europäischen Rates zeigte sich bei der Abschlußkonferenz vor allem zufrieden, daß der Beschäftigung trotz anhaltendem Widerstand oberste Priorität bei der Themenliste des
Gipfeltreffens eingeräumt wurde.
Für EU-Ratspräsident Außenminister Wolfgang Schüssel ist das Ergebnis des Gipfeltreffens in Wien die Bestätigung, daß "die Familie Europa sichtbar wird". Mit dem europäischen Beschäftigungspakt
seien nach der Europäischen Währungsunion (EWU) nun auch in der Arbeitsmarktpolitik neue Ziele gesetzt worden, betonte Klima. Erreicht werden sollen die · "quantifizierbaren" · Beschäftigungsziele
durch Koordinierung der Sozial-, Steuer-, und Wirtschaftspolitik.
Schüssel sieht im Beschäftigungspakt die positive Bilanz des österreichischen EU-Vorsitzes bestätigt: "Wir wollten beweisen, daß mit einer vernünftigen Wirtschafts- und aktiven Beschäftigungspolitik
eine gemeinsame Währung zu machen ist", so Schüssel unter Verweis auf das Inkrafttreten des Euro ab 1. 1. 1999 und die Tatsache, daß heuer im EU-Raum bereits über 1,5 Millionen zusätzliche Jobs
geschaffen wurden. Klima und Schüssel begrüßten ausdrücklich die im Wiener Schlußprotokoll festgehaltene Einbindung der Sozialpartner in diesen Prozeß.
Ein weiterer Erfolg des Gipfeltreffens ist nach den Worten Klimas die Vereinbarung zur Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), an der alle Staaten teilnehmen
könnten. Dies ermögliche Europa, "ein Raum für gemeinsame Sicherheit" zu werden und das außenpolitische Gewicht in der Welt zu stärken.
Die Themen für eine gemeinsame GASP-Strategie seien in Wien bereits festgelegt worden, die Nominierung eines Kandidaten für die außenpolitische Vertretung der Union solle aber laut Ergebnis des
Wiener Treffens erst erfolgen, wenn der Vertrag von Amsterdam ratifiziert ist, sagte der Kanzler. "Hier müssen wir noch besser werden", ergänzte Schüssel. Die gemeinsame Außenpolitik "muß klarer,
hörbarer und akzentuierter" sein.
Bezüglich der unter dem Paket "Agenda 2000" zusammengefaßte EU-Finanz- und Agrarreform, die nach dem Willen der deutschen Regierung auch eine Änderung der künftigen EU-Lastenverteilung bringen soll,
erwartet Klima bis März 1999 noch große Meinungsdifferenzen zwischen den EU-Partnern. Der EU-Gipfel in Wien habe aber wenigstens erreicht, daß "jetzt alle Standpunkte auf dem Tisch" seien, so der
Kanzler. Erfreulich sei auch, daß Deutschland, das im Jänner 1999 den EU-Vorsitz übernimmt, Unterstützung zugesagt wurde, das in Cardiff beschlossene Reformwerk bis zum festgelegten Zeitpunkt März
1999 abzuschließen · und zwar im Sinne einer "gerechten Lastenverteilung", der "Solidarität" und einer "strengen EU-Haushaltsdisziplin".
Viele seien enttäuscht, daß nicht schon in Wien Einigung in der Frage Agenda 2000 erzielt worden sei, räumte Schüssel ein. Ein gesundes Kind brauche aber neun Monate bis zur Geburt, der Beschluß zur
EU-Finanzreform sei aber erst vor einem halben Jahr in Cardiff gefallen; "es wäre eine Fehlgeburt geworden". Immerhin gehe es um ein Sieben-Jahres-Budget (2000 bis 2006) für 400 Millionen Menschen.
Die Agenda 2000 ist nach übereinstimmender Einschätzung der Unionsmitglieder Vorausetzung für eine EU-Erweiterung.
Für Enttäuschung seitens der Slowakei, deren neue Regierung unter Ministerpräsident Dzurinda vergeblich gehofft hatte, doch noch in die erste Erweiterungsrunde aufgenommen zu werden, sieht Klima
keinen Grund. Die Slowakei habe zuletzt große Fortschritte gemacht, die EU-Kommission beurteile die Entwicklungen "sehr positiv". Sie seien daher "eine gute Basis für die nächsten Weichenstellungen
in Helsinki", meinte Klima in Richtung Preßburg.
Schüssel wies darauf hin, daß seit der Wahl nur zehn Wochen und seit der Regierungserklärung erst zehn Tage vergangen seien. Die EU-Regierungen seien aber dem Vorschlag der Kommission in Brüssel
gefolgt, bereits im kommenden Jahr den Acquisscreenings zu beginnen, "damit keine Zeit verloren geht".
In der Erweiterungsdebatte appellierte EU-Kommissionspräsident Jacques Santer dafür, das Thema des Zeitpunkts der Beitritte zu "entdramatisieren". Erweiterung sei kein Thema für polemische Politik
und müsse von beiden Seiten, der Union und den Kandidaten, gut vorbereitet werden.
Selbst wenn die Schlußfolgerungen des Gipfels zur Agenda 2000 als "bescheiden" bewertet würden, bedeute dies nicht, daß keine Fortschritte erzielt worden wären, sagte Santer. Die Zeit rein taktischer
Stellungnahmen wäre jedenfalls vorbei. Santer machte Samstag abend freilich klar, daß Zeitdruck bestehe. Das Finanzreformpaket "muß" bis Ende März 1999 geschnürt sein, mahnte er erneut.