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Neue konservative Kraft oder Trennung auf Zeit?

Von Regina Kerner

Politik

Alfano stabilisiert mit neuer politischer Kraft vorerst die italienische Regierung.


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Rom. Ministerpräsident Enrico Letta war am Montag sichtbar erleichtert. Dass sich die Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL) gespalten habe und eine neue, regierungstreue Mitte-Rechts-Gruppierung um Vize-Premier Angelino Alfano entstanden sei, habe die politische Lage endlich geklärt, sagte der sozialdemokratische Premier. "Das wird helfen, dass Italien sich stabilisiert - da bin ich ganz sicher."

Anlass zu Optimismus hat Letta tatsächlich. Der ewige Störenfried Silvio Berlusconi, der in den vergangenen Monaten ein ganzes Land in Geiselhaft zu halten schien, musste persönlich einräumen, dass seine Position geschwächt ist. Der 77 Jahre alte Ex-Premier und Medienunternehmer kämpft seit der Verurteilung wegen Steuerbetrugs zäh um sein politisches Überleben. Zuletzt hatte er Anfang Oktober versucht, Lettas Koalition zu Fall zu bringen. Er will um jeden Preis - und sei es politisches Chaos - verhindern, dass man ihm als Straftäter das Abgeordnetenmandat und die Immunität entzieht. Doch auf dem Parteikongress, der am Samstag die Wiedergeburt seiner 1990er-Jahre-Partei Forza Italia abgesegnet hatte, erklärte Berlusconi vor 800 Delegierten: "Wir sind nicht mehr in der Lage, die Regierung zu stürzen."

Denn dass sein 43 Jahre alter Zögling Alfano eine eigene Partei ins Leben gerufen hat, ist ein schwerer Schlag für Berlusconi. Die neue Fraktion sichert der Regierung Letta eine Mehrheit, die ihr Fortbestehen bis zum Ende der Legislaturperiode 2015 zumindest wahrscheinlicher macht. Zu "Nuovo Centrodestra" (Neue rechte Mitte) sind alle fünf Ex-PdL-Minister im Kabinett übergelaufen sowie 57 Abgeordnete beider Parlamentskammern. Alfano hatte den Schritt damit begründet, dass es in der Forza Italia die Tendenz gebe, alles umzuwerfen. Das Land brauche aber eine stabile Regierung, damit die zaghafte wirtschaftliche Erholung nicht gefährdet wird. Außerdem brauche Italien eine moderne rechte Mitte, die an Europa glaube und enttäuschten Berlusconi-Wählern eine Heimat gebe. Einen Gründungskongress kündigte er für den 30. November an.

Einfluss des Vatikans

Wie die Zeitung "La Repubblica" am Montag berichtete, waren Alfano und seine Mitstreiter von katholischen Interessengruppen und Teilen der vatikanischen Kurie bestärkt worden. Dort ist man schon lange auf Distanz zu Berlusconi gegangen und hofft auf eine Nachfolge für die nach den Korruptionsskandalen der 1990er Jahre zerfallene Democrazia Cristiana, die zwischen 1945 und 1993 fast alle Ministerpräsidenten gestellt hatte. Und der bekennende Katholik Alfano hat christdemokratische Wurzeln. Doch auch in laizistischen Kreisen sind die Erwartungen hoch, dass endlich eine moderate, pro-europäische konservative Kraft in Italien entsteht - eine Berlusconi-freie Rechte, die demokratische Strukturen pflegt und nicht von einem unberechenbaren Alleinherrscher und Populisten geführt wird.

Premier Letta will nun weitere Reformen angehen. Sein Kabinett werde noch diese Woche Pläne für Privatisierungen vorlegen, sagte er am Montag. Vermutlich wird der Staat seine Anteile an zahlreichen Unternehmen veräußern, darunter die Energiekonzerne Eni und Enel. 20 Milliarden Euro zum Abbau des enormen Schuldenbergs sollen so zusammenkommen. Nach Kritik aus Brüssel muss die Regierung zudem den Haushalt überarbeiten.

Offene Hintertür

Ein Streitpunkt ist dabei die Immobiliensteuer auf Eigentumswohnungen und Häuser. Die Forza Italia besteht auf der Abschaffung. Andernfalls werde man in die Opposition gehen, hat Berlusconi angekündigt. Doch das kann nach Alfanos Treueschwur auf die Regierung nun ebenso wenig eine Krise auslösen wie die für den 27. November geplante Abstimmung über Berlusconis Ausschluss aus dem Parlament.

Auf längere Sicht ist die Lage allerdings nicht so eindeutig. Sowohl Alfano wie sein Ex-Mentor haben sich Hintertürchen offengelassen. Beide beteuern, wie "schmerzhaft und bitter" die Spaltung sei. Alfano spricht von immer noch vorhandener "tiefer Zuneigung" zu Berlusconi. Der blieb auffallend zahm: "Macht keine negativen Bemerkungen über die neue Gruppe", rief er seine Anhänger auf. Und beide haben bereits angekündigt, bei künftigen Wahlen ein Bündnis eingehen zu wollen. Der Verdacht liegt nahe, dass es nur eine Trennung auf Zeit sein könnte.