Johannesburg - Mit einem der ehrgeizigsten Bildungspläne des Kontinents will Südafrika seine Ausbildungsmisere überwinden und zugleich seinen Anspruch als Industrienation sichern. "Curriculum 2005" heißt das Projekt, mit dem der junge Nach-Apartheidstaat alte Zöpfe in der Schulpolitik abschneiden will. "Dieses Curriculum ist wahrscheinlich eines der fortschrittlichsten der Welt", sagte Bildungsminister Kader Asmal bei der Vorstellung des Werkes, "weil es besonderen Wert auf die Unterrichtung in Fragen der Gleichberechtigung, der Menschenrechte und Rassentoleranz legt."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es legt in überarbeiteter Form die Leitlinien fest, die nach dem Fall der Apartheid erarbeitet worden waren. Die Präsentation des Reformwerkes erfolgte in der vergangenen Woche. Die Aufgabe ist gewaltig in einem Land, das jahrelang systematisch die Bildung eines Teils seiner Bevölkerung vernachlässigt hat und das im Anti-Apartheid-Kampf durch monatelange Schulboykotte geprägt war. Denn Schulpolitik in Südafrika war schon immer ein brisantes Thema. Vor 25 Jahren sorgte es in Soweto für politischen Sprengstoff, der das Land wochenlang in Atem hielt und viele Menschen das Leben kostete.
Sie war gemeinsam mit der Landreform Hauptmotiv für den Widerstand des heute regierenden African National Congress (ANC) und anderer schwarzer Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte. Kein Wunder, dass Asmal die Präsentation als seine bisher wichtigste Pressekonferenz wertete. Rund 150 Experten waren unter Leitung der Bildungsexpertin Linda Chisholm damit beschäftigt, die nach dem Ende der Apartheid zu hastig ausgearbeitete radikale Schulreform zu korrigieren.
Heraus kam ein Rahmenwerk, das Geschichte als Unterrichtsfach wieder auf den Stundenplan bringt, Mehrsprachigkeit fördert und die schwierige Gratwanderung zwischen dem Anspruch "Bildung für alle" und dennoch hohem Bildungsniveau wagt. Asmal: "Dieses Curriculum stellt als Basis sicher, dass keine Person die Hauptschule verlässt, ohne auf einem hohen Niveau lesen, schreiben, rechnen und denken zu können."
Es fordert vor allem auf dem Lande von den fast noch patriarchalisch unterrichtenden Lehrern radikales Umdenken. Nicht mehr stures Abfragen auswendig gelernten Unterrichtstoffs soll Trumpf sein, sondern geistige Beweglichkeit und Kreativität.
Wo vorher Rassentrennung herrschte, gibt es seit 1997 nur noch zwei Schularten im Lande: staatliche und private. Die Kluft, über Jahre im Bildungsniveau zwischen Schwarz und Weiß gewachsen, hat dennoch auch heute das Land im Griff. Viele Lehrer, vor allem auf dem Lande, sind schlecht ausgebildet. Im Apartheidsystem reichte das völlig aus, für den Status eines modernen Industriestaates, den Südafrika anstrebt, war es jedoch unzureichend. Zwar ist Südafrika nach Angaben des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP) mit Tunesien das einziges Land Afrikas, das über eine wachsende Hochtechnologie-Industrie verfügt. Doch der Nachwuchs blieb aus.
Kein Wunder, dass Naturwissenschaften und Mathematik im neuen Bildungsplan sehr hohen Stellenwert haben. Seine Verwirklichung ab 2004 dürfte einiges Kopfzerbrechen erfordern. Denn auch wenn kaum ein anderes Land des Kontinents mehr Geld für Bildung ausgibt als Südafrika, fehlt es überall an Lehrmaterial, die Lehrer-Fortbildung wurde lange vernachlässigt. Immerhin: 94 Prozent der Sieben- bis 15-Jährigen besuchen heute eine Schule; doch 16 Prozent der über 20- Jährigen können noch immer nicht lesen.